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vhs Karlsruhe: vhs Kolleg Allgemeinbildung, Semester IV:



Meilensteine
der Literaturgeschichte
I: Die Anfänge der Literatur; Griechische und Römische Antike




Joerg Hartmann und Swenja Zaremba
vhs-Kolleg Allgemeinbildung, Semester IV: Meilensteine der klassischen und modernen Literatur
Inhalt

Inhalt ................................................................................................................................................................................. 2


1.     Kontext: Die Antike ................................................................................................................................................... 3


2.     Das Gilgamesh-Epos .................................................................................................................................................. 3


3.     Die Epen des Homer.................................................................................................................................................. 6


4.     Die Ilias: Das Lied vom Zorn ...................................................................................................................................... 7


5.     Die Odyssee oder: die lange Heimfahrt nach Ithaka .............................................................................................. 10


6.     Das Theater im antiken Griechenland .................................................................................................................... 13


7.     Oedipus Rex ............................................................................................................................................................ 13


8.     Die Komödie ............................................................................................................................................................ 17


9.     Sappho und ihre Lyrik ............................................................................................................................................. 17


10.        Die Fabeln des Aesop .......................................................................................................................................... 19


11.        Rom und die lateinische Literatur ....................................................................................................................... 21


12.        Die Aeneis des Vergil........................................................................................................................................... 21


13.        Ovids Metamorphosen ....................................................................................................................................... 25




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vhs-Kolleg Allgemeinbildung, Semester IV: Meilensteine der klassischen und modernen Literatur
    1. Kontext: Die Antike

Der Begriff Antike (von lat. antiquus, alt, altertümlich) bezeichnet die Epoche des Altertums im Mittelmeerraum. Im
weiteren Sinne, der in diesem Kurs angewandt werden soll, bezieht die Antike auch die Geschichte der altorientali-
schen, nahöstlichen Hochkulturen Ägyptens, Mesopotamiens, Syriens, Persiens und Kleinasiens mit ein, die etwa mit
dem Beginn der Schriftlichkeit um 3500 v. Chr. einsetzt. So umfasst diese Epoche die Zeit des archaischen und klassi-
schen Griechenlands, des Hellenismus und des Römischen Reichs bis zum Ende des weströmischen Reichs im Jahr
476 bzw. bis zum Tod des oströmischen Kaisers Justinian I. 565. Fast alle Ideen der modernen Aufklärung haben anti-
ke Vorläufer. Ohne griechische Wissenschaft und Philosophie, ohne das römische Recht und ohne Architektur und
Kunst von Griechen und Römern - und ohne deren Literatur- ist die westliche Zivilisation nicht denkbar. Insofern ist
die Kenntnis der Literatur dieser Epoche für ein Verständnis unserer heutigen Kultur von immensem Wert.

‚Schrift‘: eine Erfindung aus dem Zweistromland
Die Erfindung der Schrift gehört zu den entscheidenden Wendepunkten innerhalb der kulturellen Entwicklung der
Menschheit. Die Schrift entstand zwischen Mitte und Ende des 4. Jtsd. v.Chr. im Vorderen Orient mit der Keilschrift
der Sumerer (3500 v.Chr.) und den Hieroglyphen der Ägypter (3000 v.Chr.) sowie im Fernen Osten mit den Ideog-
rammen der Chinesen - Chinesische Schrift (2500 v.Chr.) Mit der Entwicklung der Keilschrift, der ältesten Schrift der
Menschheit, ihrer Monumentalarchitektur, eines geordneten Staatswesens und der ersten Aufzeichnung wirtschaft-
licher und verwaltungsmäßiger Vorgänge legten die Sumerer, die im Zweistromland (gr. Mesopotamien) zwischen
Euphrat und Tigris lebten, die wesentlichen Grundlagen für die nachfolgenden Kulturen.

Die Ursprünglich entsprach ein Zeichen einem Wort. Da Wörter, die nicht unmittelbar abgebildet werden konnten,
durch Piktogramme von im weitesten Sinne verwandten Objekten ausgedrückt wurden (z. B. Gott durch einen Stern,
stehen und gehen durch einen Fuß), standen einige Zeichen für mehrere Worte. Die meisten sumerischen Worte
waren einsilbig, daher entsprachen die Zeichen – unabhängig von ihrer ursprünglichen Bedeutung – bald nur noch
einzelnen Silben. Die voll entwickelte Keilschrift verfügte über mehr als 600 Zeichen. Mittels einer Art Griffel wurden
keilförmige, nach rechts oder unten spitz zulaufende Zeichen in Tafeln aus Ton gedrückt, die anschließend getrock-
net oder gebrannt wurden. Die Keilschrift der Sumerer wurde Zeile für Zeile abwechselnd von rechts nach links und
von links nach rechts geschrieben. Mit der Zeit wurden diese Zeichen immer abstrakter, die ursprünglich abbilden-
den Zeichen wurden zu reinen Symbolen, die nur noch auf bestimmte Silben verwiesen.




    2. Das Gilgamesh-Epos
Das Gilgamesch-Epos ist die bedeutendste literarische Schöpfung des Zweistromlandes und
das erste niedergeschriebene literarische Werk der Menschheit überhaupt. "Niederge-
schrieben" bedeutet hier mittels einer Art Griffel wurden keilförmige, nach rechts oder un-
ten spitz zulaufende Zeichen in Tafeln aus Ton gedrückt. Das Epos selbst dürfte aus einer
Reihe ursprünglich nicht zusammenhängender Einzelsagen entstanden sein. Der uns na-
mentlich bekannte Schreiber oder Dichter schuf daraus vermutlich im 12. Jh. V. Chr. das
Werk, das wir als Gilgamesch-Epos bezeichnen. Der größte Teil des noch erhaltenen Werkes
stammt aus der großen Tontafelbibliothek des Assyrerkönigs Assurbanipal aus Ninive. Das
eigentliche Epos ist auf zwölf Keilschrift-Tontafeln aufgezeichnet. Da die Tafeln als Bruchstü-
cke gefunden wurden, ist der Text nicht vollständig erhalten.

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vhs-Kolleg Allgemeinbildung, Semester IV: Meilensteine der klassischen und modernen Literatur

Inhalt des Epos
Es wird von König Gilgamesh berichtet, Gilgamesh war ein sagenhafter König um 2750 - 2600 v. Chr. Er soll zu zwei
Drittel Gott, zu einem Drittel Mensch gewesen sein. Er herrschte über den sumerischen Stadtstaat Uruk (als Erech in
der Bibel bekannt, heute die Ruinenstätte Warka im Irak) und muss einer der mächtigsten Herrscher dieser Zeit ge-
wesen sein. Das zentrale Thema des ältesten literarischen Werkes der Weltliteratur hat bis heute nichts an seiner
tragischen Aktualität verloren: die Angst vor dem Tod und die Auflehnung gegen die Sinnlosigkeit des Sterbens. Gil-
gameshs Suche nach dem Leben nimmt dabei verschiedene Gestalten an.

Der König von Uruk und Enkidu
Zu Beginn ist Gilgamesch ein Tyrann – das Klagen seiner Untertanen dringt bis zu den Göttern, worauf die Mutter-
göttin Aruru den zu zwei Dritteln tierischen Enkidu als Gegenstück erschafft. Gilgamesch erfährt durch einen Fallen-
steller von dem unter Tieren lebenden friedlichen Hünen. Er schickt Schamchat, eine Dienerin der Liebesgöttin
Ischtar, mit dem Auftrag ihn zu verführen. Enkidu erliegt deren Reizen. Danach fliehen die Tiere ihn, er beginnt die
menschliche Sprache zu verstehen und begleitet Schamchat in die Stadt. Dort kommt es zum Kampf zwischen den
Helden. Enkidu unterliegt und erkennt die Einzigartigkeit von Gilgamesch an. Die beiden werden Freunde – und Frie-
den kehrt in Uruk ein.

Gilgamesch und Enkidu töten Humwawa
Eines Tages jedoch will Gilgamesch in den Zedernwald ziehen und dessen monströsen Hüter Humwawa töten. Enki-
du erinnert ihn daran, dass der Gott Enlil selbst Humwawa zum Schutz des Waldes geschickt hat. Er beschwört die
Gefahren der Reise und die Stärke des Unholds, doch weder er noch die Weisen der Stadt können den König zurück-
halten – diesen lockt der unsterbliche Ruhm. Gilgamesch lässt für sich und Enkidu mächtige Waffen fertigen, dann
brechen sie auf. Die Reise dauert viele Tage und Gilgamesch wird nachts von unheilvollen Träumen heimgesucht. Bei
der Höhle Humwawas angelangt droht der sie zu bezwingen, nur mithilfe des Sonnengottes Schamasch überwältigen
sie ihn. Das Ungeheuer bittet um Gnade: Gilgamesch zögert, doch Enkidu überredet ihn Humwawa zu töten.

Die Liebesgöttin Ischtar und der Tod des Enkidu
Heimgekehrt will die Liebes- und Kriegsgöttin Ischtar Gilgamesch zu ihrem Geliebten machen. Der weist sie zurück:
die Göttin schadete bisher all ihren Liebhabern im Nachhinein. Wutentbrannt eilt Ischtar zu Göttervater Anu, der ihr
den Himmelsstier leiht. Doch die beiden Helden erlegen diesen und beleidigen die Göttin obendrein. Wie schon bei
Humwawa zeigt Enkidu einen verhängnisvollen Hang zum Übermut, der nicht ungestraft bleiben soll – nach zwei
Sterbeträumen erkrankt er schwer und stirbt. Gilgamesch reagiert erst ungläubig, dann mit tiefem Schmerz und Ver-
zweiflung. Im Innersten erschüttert lässt er die Stadt hinter sich und geht in die Wildnis. Der Tod des geliebten Enki-
du hat den Krieger auf eine neue Weise mit dem Sterben konfrontiert – Todesfurcht quält ihn fortan.

Gilgameshs Suche nach Utnapischtim
Er macht sich auf die Suche nach dem unsterblichen Utnapischtim und gelangt zu zwei Bergen, von denen ein Tunnel
fortführt, den die Sonne bei ihrem Untergang beschreitet. Zwei bewachende Skorpionmenschen warnen den Su-
chenden: er muss das andere Ende vor Sonnenuntergang erreichen, sonst wird ihn die Kraft der Sonne verbrennen.
Es gelingt ihm und er trifft auf die Tavernenwirtin Siduri, der er sein Leid klagt. Sie schickt ihn zu Utnapischtims
Fährmann Urschanabi. Gilgamesch zerstört sinnlos die aus steinernen Männern bestehende Besatzung des Bootes,
doch Urschanabi verzeiht ihm und sie überqueren mithilfe von 300 Stangen die Wasser des Todes. Utnapischtim
erzählt Gilgamesch auf die Frage nach seiner Unsterblichkeit von der großen Flut – ein Vorgänger der biblischen Ge-
schichte der Arche Noah. Utnapischtim belauschte damals den von fünf Göttern gefassten Plan und ließ ein Schiff
bauen. Nach der Flut erhoben die Götter ihn und seine Frau zu Ihresgleichen.

Die Wurzel der Jugend und Heimkehr nach Uruk
Spöttisch stellt er Gilgamesch eine Prüfung: er soll sieben Tage den Schlaf bezwingen, dann könne er vielleicht auch
den Tod bezwingen. Gilgamesch scheitert kläglich. Utnapischtim will ihn fortschicken, doch hat seine Frau Mitleid
mit dem Weitgereisten. Und so teilt der Alte ihm ein Mysterium der Götter mit: In den Wassern der großen Tiefe
wüchse ein dorniger Busch, der Jugend verleihe. Gilgamesch gräbt die Wurzel aus und will sie nach Uruk bringen,
doch unterwegs macht sich eine Schlange damit davon. Seine Reise endet dort, wo sie begann – er muss einsehen,
dass er keine Unsterblichkeit erlangen kann, die Vergeblichkeit seines Unterfangens und seine Grenzen akzeptieren.
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Deutung
Im ersten Teil versucht Gilgamesch, das Leben durch Heldentaten zu erringen, d.h. sich einen Namen zu machen, der
unsterblich sein wird. Im zweiten Teil des Epos geht es dann nicht um Abenteuer um des Nachruhmes willen, son-
dern um das „nackte Leben“, das physische Weiterleben des Helden. Der Held sucht nach einem Weg, um die Grenze
des Todes zu überwinden. Im Unterschied zum ersten Teil des Epos ist er völlig alleine unterwegs. Denn sein Freund
Enkidu ist nicht mehr am Leben.

Das Sterben Enkidus, das in der 7. Tafel packend geschildert wird und Gilgamesch selbst im Licht eines zumindest
nicht Unschuldigen zeichnet (Enkidu muss stellvertretend für Gilgamesch sterben; und Gilgamesch hat dem Freund,
der ihm geholfen hat, selbst nicht geholfen), stellt die Zäsur zwischen den beiden Teilen dar. Der Tod des Freundes
führt zur Auseinandersetzung mit dem Tod überhaupt, zunächst mit dem Tod des Freundes, den Gilgamesch noch
ins Leben zurückzuholen versucht, dann zur Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod. Ein dramatischer Wende-
punkt.

Die Suche nach dem Leben führt den einsamen Gilgamesch, ohne Herrscher-Attribute und völlig verwahrlost, durch
die Zwillingsgebirge zum Ende der Welt, wo ihm die göttliche Schankwirtin Šī-dūrī den Rat erteilt, das Leben zu ge-
nießen, so lange es eben währe. Doch Gilgamesch drängt es weiter, er will zu dem Menschen, der die Sintflut über-
lebt hat und dann von den Göttern unsterblich gemacht wurde; dessen Geheimnis will er erfahren und so selbst un-
sterblich werden. Durch die Todeswasser gelangt er zu Utnapischtim, der ihm die Geschichte der Sintflut erzählt.
Doch wie soll Gilgamesch, dessen Los doch so ganz anders ist, den Tod überwinden können?
Nicht einmal den „Schlaftest“, nämlich 7 Tage und Nächte wach zu bleiben, besteht er. Zuletzt kann er aber ein Ver-
jüngungskraut aus den Tiefen des Meeres gewinnen, das er aber auf dem Weg zurück zu seiner Stadt Uruk verliert:
Eine Schlange frisst es und häutet sich sofort, Zeichen ihrer Erneuerung. Das Epos lässt seinen Helden zuletzt auf die
Stadtmauer verweisen: Sie soll für alle Zeiten an Gilgamesch und seine großen Taten erinnern. Und damit schließt
sich ein Kreis, denn mit der Einladung, die Stadtmauer zu bewundern und von Gilgameshs Taten zu lesen, hatte das
Epos eingesetzt. Die Weisheit, welche Gilgamesch erlangt hat, richtet sich somit an alle Menschen, die diesen Text
lesen und bedenken.

Führt der erste Teil des Epos den Prototyp des erfolgreichen, kriegerischen Helden und Herrschers vor Augen, so
zeichnet der zweite Teil eher den Prototyp eines weisheitlichen Heros, der die Grenzen zwischen Menschen und
Göttern austestet; diese Grenzen scheinen für die altorientalische Antike nicht kategorisch, sondern an manchen
Stellen durchlässig, verhandelbar, überspringbar. Das zeigt schon die Aussage des Epos, dass Gilgamesch zu zwei
Dritteln Gott sei, geerbt von seiner göttlichen Mutter Ninsun, und nur zu einem Drittel Mensch. Wenngleich Gilga-
mesch mit seinem Anliegen scheitert, hat er doch durch seinen Grenzgang Wissen erlangt, welches das Wissen nor-
mal Sterblicher bei weitem übersteigt. Er ist zu einem herausragenden Weisen geworden, der Kunde gebracht hat
von vielen für die Menschen, ihr Leben und ihre Kultur wichtigen Dingen und bedeutendem Wissen.

Form
Das Gesamtwerk der 11 Tafeln ist von einem formalen und semantischen Rahmen umgeben: Anfang und Ende des
Werkes fordern dazu auf, die gewaltige Mauer und die von ihr umschlossene Stadt zu bewundern, die Gilgamesch
hat erbauen lassen. Man kann in diesem formalen Kunstgriff unschwer dichtungstheoretische Konnotationen erken-
nen. Die Aufforderung, die Stadtmauer und die von ihr umschlossene Stadt zu bewundern, umschließt das Werk als
Rahmen. Dieser Rahmen fungiert selbst wie eine Mauer. Dann aber ist die innerhalb der Mauer, d.h. des Rahmens,
liegende „Stadt“ in konnotativer Übertragung nichts anderes, als das Werk selbst, das Epos von Gilgamesch! Dezent
versteckt bedeutet dies, dass der oder die Dichter des Werkes selbst eine Art Anspruch anmelden, wie sie ihn dem
Helden Gilgamesch in den Mund legen, den Anspruch, ein Werk zu schaffen, das höchste Bewunderung verdient.
Und das die Zeitläufe überdauern soll.

Einfluss auf spätere Werke der Weltliteratur
Der Einfluss der Erzählung auf spätere Werke der Weltliteratur wie die Ilias, Odyssee, die Bibel oder Tausend und
eine Nacht ist unübersehbar. Ein prominentes Beispiel hierfür bildet die Sintfluterzählung, wie sie sowohl bei Gilga-
mesh, als auch in der Bibel gefunden wird:


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Gilgamesch-Epos XI, 145-162 (1200 v. Chr.)                     Bibel, Gen 8,4.6-12.20 (1000 v. Chr.)
Einen dritten Tag, einen vierten Tag hielt Nimusch, der        Und im siebten Monat, am siebzehnten Tag des Monats,
Berg, das Schiff fest und ließ es dann nicht mehr wan-         ließ sich die Arche auf dem Gebirge Ararat nieder ...
ken.
Doch als der siebente Tag anbrach, holte ich eine Tau-         Und es geschah am Ende von vierzig Tagen, da öffnete
be hervor und ließ sie frei. Die Taube flog, doch kam sie      Noah das Fenster der Arche, das er gemacht hatte, und
zurück, denn kein Flecken zu rasten erschien ihr, so           ließ den Raben hinaus; und der flog aus, hin und her, bis
kehrte sie um.                                                 das Wasser von der Erde vertrocknet war.
Ich holte eine Schwalbe hervor und ließ sie frei. Die          Und er ließ die Taube von sich hinaus, um zu sehen, ob
Schwalbe flog, doch kam sie zurück, denn kein Flecken          die Wasser weniger geworden seien auf der Fläche des
zu rasten erschien ihr, so kehrte sie um.                      Erdbodens; aber die Taube fand keinen Ruheplatz für
                                                               ihren Fuß und kehrte zu ihm in die Arche zurück;
Ich holte einen Raben hervor und ließ ihn frei. Der Ra-        Und er wartete noch sieben weitere Tage, dann ließ er
be flog. Als er aber sah, wie sich das Wasser verzog, da       die Taube noch einmal aus der Arche; und die Taube
begann er zu fressen, zu scharren und hüpfen und kam           kam um die Abendzeit zu ihm zurück, und siehe, ein
nicht wieder zurück.                                           frisches Olivenblatt war in ihrem Schnabel. Da erkannte
                                                               Noah, dass die Wasser auf der Erde weniger geworden
                                                               waren.
Da aber holte ich ein Opfertier hervor, den vier Winden        Und Noah baute JHWH einen Altar; und er nahm von
brachte ich es dar. Ihnen zu Füßen schüttete ich Rohr,         allem reinen Vieh und von allen reinen Vögeln und op-
Zeder und Myrte hin. Die Götter rochen den Duft, die           ferte Brandopfer auf dem Altar. Und JHWH roch den
Götter rochen den süßen Duft, ...                              wohlgefälligen Geruch ...

Abschließend sei Rainer Maria Rilke zitiert, der von der Lektüre des Gilgamesh Epos ganz gefesselt, 1916 in einem
Brief an Helene von Nostiz schrieb: "Ich habe mich mit der genauen gelehrten Übersetzung eingelassen und an die-
sen wahrhaft gigantischen Bruchstücken Maaße und Gestalt erlebt, die zu dem Größten gehören, was das zaubernde
Wort zu irgendeiner Zeit gegeben hat. [...] Hier ist das Epos der Todes-furcht, entstanden im Unvordenklichen unter
Menschen, bei denen zuerst die Trennung von Tod und Leben definitiv und verhängnisvoll geworden war. Ich lebe
seit Wochen fast ganz in diesem Eindruck."

Literatur
Maul, Stefan: Das Gilgamesch-Epos. München 2005.



   3. Die Epen des Homer
Die Entstehung des griechischen Alphabets
Die Phönizier waren ein seefahrendes Handelsvolk im Küstengebiet Syriens. Einen besonders regen Gütertausch
hatten sie mit Ägypten. Beeinflusst von den ägyptischen Hieroglyphen, erfanden sie zwischen 2000 und 1500 v. Chr.
ein bahnbrechendes Buchstabensystem: das erste Alphabet. Es bestand aus 22 Mitlauten (Konsonanten). Aus der
phönikischen Schrift entwickelten sich die europäischen Schriftsysteme. Das Wort Alphabet setzt sich aus den ersten
beiden Buchstaben des griechischen Alphabets zusammen: Alpha und Bet. In der Zeit zwischen 1200 bis 700 v. Chr.
entstand die griechische Schrift. Die Griechen leiteten sie von jener der Phöniker ab. Sie vollzogen aber auch den
letzten wirklich bedeutenden Schritt in der Entwicklung der Schrift: Mit der Erfindung von Vokalen schufen sie das
erste vollständige Alphabet der Weltgeschichte. Es hatte 24 Buchstaben. Aus der griechischen Schrift ging dann die
etruskische und später die lateinische hervor, die wir heute noch verwenden. Auf dem griechischen Festland (Pelo-
ponnes) entwickelte sich unter minoischem Einfluss eine eigene Hochkultur, bekannt als Mykenische Kultur
(ca.1800-1700). Der wichtigste Fundort aus dieser Zeit ist die Burg Mykene. Personen und Ereignisse dieser Epoche
sind aber überliefert in den Darstellungen der homerischen Mythen Ilias und Odyssee. Anders als aus der minoischen
bzw. der mykenischen Zeit sind aus den Jahren zwischen 1200 und etwa 800 keine schriftlichen Zeugnisse überlie-
fert. Wahrscheinlich waren es Völkerwanderungen, die zum Zusammenbruch der minoischen und mykenischen
Hochkulturen geführt haben. Ab 800 begann sich die für das griechische Festland typische Gesellschaftsform der
Polis – im Deutschen oft als ‚Stadtstaat‘ wiedergegeben - zu entwickeln.

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Mythos Homer
Er gilt als der erste Dichter des Abendlandes: Homer. Der griechische Dichter lebte im 8. Jahrhun-
dert v. Chr. im ionischen Kleinasien. In der Philologie lange als fiktive Persönlichkeit angesehen, gilt
er heute wieder als historische Person, deren Bild durch die Legende mit den Zügen des wandern-
den Rhapsoden ausgestattet wurde.

Über ihn persönlich weiß man fast nichts, und das fördert bekanntlich die Mythenbildung. Wissen-
schaftler streiten nicht nur über den Namen des Dichters. Homer könne ursprünglich auch Melesi-
genes geheißen haben, sagen einige, da er möglicherweise am Fluss Meles zur Welt kam. Homer soll blind auf die
Welt gekommen sein - auch diese Legende lässt sich nicht belegen. Dass Homer das Leben am Hofe kannte, weil er
adlig war, kann jedoch als einigermaßen gesichert angesehen werden. Seine Epen "Ilias" und "Odyssee" bilden das
Fundament unserer abendländischen Erzählkunst. Vermutlich sind sie im 8. Jahrhundert vor Christus entstanden - ob
sie alle beide auf Homer zurückgehen, ist genauso umstritten wie der Entstehungszeitraum.


    4. Die Ilias: Das Lied vom Zorn
Die Ilias (abgeleitet von dem griechischen Namen für die Stadt Troja: Ilion) gilt als das ältere Werk. Homers Ilias stellt
die um 800 vor unserer Zeitrechnung entstandene Ausarbeitung eines Sagenstoffes dar, der einmal auf Zypern kur-
sierte und auf die in der Bronzezeit belegten Auseinandersetzungen zwischen Achaiern und Hethitern im Westen
Kleinasiens zurückzugehen scheint. Seine 'Geschichte von Ilios' führt die – leider nur mehr in Inhaltsangaben und
Zitaten erhaltenen – zypriotischen Erzählungen weiter, in denen die Vorgeschichte des trojanischen Krieges ausgeb-
reitet wurde. Das Wissen um diese ‚Kypria‘ voraussetzend und sich mit kurzen Anspielungen darauf begnügend,
knüpft Homer an einzelne Kettenfäden ihres bunten Stoffstreifens an, um in seinem Erzählteppich dann neue Episo-
den einzuweben.

Vorgeschichte des trojanischen Krieges: Das Urteil des Paris
                      Weil Eris, die Göttin der Zwietracht, nicht zur Hochzeit von Peleus und Thetis eingeladen
                      worden war, warf sie einen Apfel unter die Gäste, welcher der schönsten Göttin gehören
                      sollte. Um den Streit unter den Göttinnen Hera, Athene und Aphrodite zu schlichten, befahl
                      Zeus dem trojanischen Prinzen Paris, ein Urteil zu fällen. Paris ließ sich von Aphrodite über-
                     zeugen, die ihm die schönste Frau versprach, und überreichte ihr den Siegespreis. Hera und
                    Athene jedoch wandten sich zornig ab und schworen Paris und seiner Heimat Troja Rache.

Der trojanische Krieg: Paris raubt Helena
Aphrodite begleitete Paris auf seiner Reise nach Sparta, wo er Helena, die schöne Gattin des Königs Menelaos, ken-
nenlernte und sich in sie verliebte. Er nutzte die Abwesenheit seines Gastgebers aus und entführte Helena auf sei-
nem Schiff nach Troja. Nach einer anderen Tradition soll Helena ihm freiwillig gefolgt sein. Menelaos wollte seine
geraubte Frau um jeden Preis wieder zurückhaben und sammelte die größten Helden Griechenlands um sich: Odys-
seus, Aias, Achilles, Nestor, Diomedes und viele andere folgten ihm. Zum Anführer der Griechen wurde Agamemnon,
Menelaos' Bruder, gewählt.

Inhalt
Der Rahmen der Ilias umspannt in knapp 1600 Versen mehr als tausend Orte, Personen, Stämme und Gottheiten.
Die Erzählung spielt im letzten Jahr des Trojanischen Krieges, das Leitmotiv der Ilias ist dabei der Zorn, der innerhalb
ihres nur 51-tägigen Handlungsverlaufs immer weitere Kreise zieht und dabei Heroen wie Götter als unentrinnbares
Schicksal ereilt.

Den Anfang setzen die Entehrung des Gottes Apollon durch den Raub der Chryseïs und seine Rache an den Achaiern.
Als deren Oberbefehlshaber Agamemnon für die schließlich dem Vater und Apollon-Priester zurückgegebene Toch-
ter Ersatz fordert, gerät er darum mit Achilleus in Streit, der sich in der Folge ebenfalls entehrt sieht und aus den
Kämpfen zurückzieht. Der „Zorn des Achilleus“ wird zur Klammer des Epos, Die griechische Streitmacht erleidet dar-
aufhin im Kampf gegen die Bewohner von Troja schwere Niederlagen. Achilleus zeigt sich unversöhnlich, lässt jedoch
zu, dass sein Gefährte Patroklos an seiner Stelle die Truppen anführt. Als dieser im Kampf fällt, richtet sich der Zorn
des Achilleus gegen die Trojaner, deren Heerführer Hektor, ein Sohn des Königs Priamos, er im Zweikampf tötet.
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Patroklos wird bestattet und es werden Wettkämpfe zu seinen Ehren unter den Griechen veranstaltet. Dabei beharrt
ein Krieger – Antilochos – vor Achilleus auf seiner ihm vermeintlich zustehenden Trophäe, auf ähnliche Weise wie
Achilleus anfangs vor Agamemnon; der Konflikt wird diesmal jedoch freundschaftlich bereinigt.

Es ist dies nicht nur der Punkt, an dem sich die Ringform des Epos schließt; die Fabel erhält auch den Gehalt einer
Parabel über ein mögliches Ethos unter den Griechen. Ausgeweitet wird dieser Aspekt schließlich im 24. Buch, als
Hektors Vater Priamos Achilleus überreden kann, ihm den Leichnam seines Sohnes zu übergeben; es deutet sich gar
eine Versöhnung zwischen den feindlichen Parteien an – doch der Krieg geht nach Hektors Begräbnis weiter.
Die Haupthandlung wird von zahlreichen Nebenepisoden unterbrochen, die die verschiedensten von Göttern ab-
stammenden Helden im Zweikampf zeigen, und auch die Götter selbst mischen sich in der unterschiedlichsten Form
in die Kampfeshandlungen ein. Was sich sonst noch an berühmten Motiven rund um den trojanischen Krieg zitieren
läßt, findet sich in anderen Epen des trojanischen Sagenstoffes: das Parisurteil wird bereits von den Kypria geschil-
dert, Achilleus' verwundbare Ferse ist ein Motiv aus der Aithiopis und vom trojanischen Pferd und dem Fall Ilios'
berichtet die Odyssee.

Die Ilias, der trojanische Krieg und die Priestertochter Briseïs
Die Trojaner hatten sich vorsorglich in ihrer Stadt verschanzt und wehrten die Belagerung durch die Griechen wäh-
rend zehn Jahren erfolgreich ab. In dieser Zeit unternahmen die Griechen viele Kriegszüge in der Umgebung von
Troja, von denen sie Beute und Sklaven mitbrachten. Die Lieblingssklavin von Achilles war Briseïs. Weil aber Aga-
memnon seine Sklavin auf Befehl des Gottes Apollo zurückgeben musste, verlangte er als Ersatz für sich Briseïs. Nur
mit großem Zorn leistete Achilles dieser Anweisung Folge und wollte in Zukunft dem Kampf zwischen Griechen und
Trojanern fernbleiben. Er bat darüber hinaus seine Mutter, die Göttin Thetis, den Griechen eine schwere Niederlage
zu bereiten.

Zweikampf zwischen Menelaos und Paris
Inzwischen beschlossen die Griechen und die Trojaner, die durch den jahrelangen Krieg müde geworden waren, dass
Menelaos und Paris im Zweikampf entscheiden sollten, wem Helena gehört. Paris war Menelaos unterlegen und
wäre auf dem Kampfplatz gestorben, wenn ihn nicht die Göttin Aphrodite im letzten Augenblick nach Troja entrückt
hätte. Die Griechen sahen in Menelaos den klaren Sieger und forderten die Herausgabe von Helena, doch einer der
Trojaner schoss einen Pfeil auf Menelaos und verletzte diesen. Damit war der Vertrag gebrochen und der Kampf
begann von Neuem.

Patroklos
Erbittert kämpften Griechen und Trojaner gegeneinander, doch schienen sich die Götter gegen die Griechen ver-
schworen zu haben: Ein Held nach dem anderen wurde verwundet und musste das Schlachtfeld verlassen. Bis zu den
Schiffen drangen die Trojaner vor und versuchten sogar, diese in Brand zu setzen. In dieser Situation schickte Aga-
memnon verzweifelt Gesandte zu Achilles, welche diesen davon überzeugen sollten, wieder in den Kampf einzugrei-
fen. Achilles war aber immer noch zornig, ließ aber seinen Freund Patroklos mit seinen eigenen Waffen und mit sei-
nen Männern ziehen. Die neuen Kräfte brachten die Trojaner zum Wanken und bald setzte eine wilde Flucht ein.
Patroklos hätte sogar beinahe Troja selbst erobert, wäre ihm nicht Hektor in den Weg getreten. Zwischen den beiden
entbrannte ein heftiger Zweikampf, aus dem Hektor siegreich hervorging.

Neue Waffen für Achilles
Hektor raubte die wunderbaren Waffen des Achilles, welche Patroklos trug, und brachte sie als Beute nach Troja
zurück. Bestürzt über den Verlust seines Freundes drohte Achilles Hektor sogleich mit Vergeltung und willigte ein,
wieder auf der Seite der Griechen zu kämpfen. Als Dank für seinen Gesinnungswandel schickte ihm Agamemnon die
Briseïs zurück. Zunächst ließ Achilles sich aber von seiner Mutter Thetis neue Waffen beim Gott der Schmiede, He-
phaistos, herstellen.

Hektor und Andromache
In der Stadt Troja verabschiedete sich inzwischen Hektor von seiner Gattin Andromache und seinem jungen Sohn
Astyanax. Als dieser den Helmbusch seines Vaters sah, erschrak er und begann sogleich zu weinen. Hektor erkannte
den Grund für das Weinen, zog seinen Helm aus und konnte so von seinem Sohn und seiner Frau Abschied nehmen -
er ahnte wohl, dass er beide nie mehr wiedersehen würde.
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Zweikampf zwischen Hektor und Achilles
Ausgestattet mit den neuen Waffen drängte Achilles in die Schlacht und versuchte, an
Hektor heranzukommen. Durch sein Schwert fielen unzählige Trojaner, und der Fluss
Skamander färbte sich rot um Blut der getöteten Feinde. Endlich standen sich Hektor und
Achilles gegenüber, und Hektor verlor beim Anblick des griechischen Helden allen Mut.
Dreimal jagte ihn Achilles um die Stadt, bis er ihn schließlich doch noch stellen konnte. In
kurzem und heftigem Kampf besiegte er Hektor und nahm damit Rache für Patroklos.

Achilles schleift Hektor mit dem Wagen
Achilles hatte den Tod seines Freundes aber noch nicht überwunden. Nachdem er dem toten Hektor die Rüstung
ausgezogen hatte, band er die Leiche an seinen Streitwagen und schleifte sie über den Boden zu den Schiffen der
Griechen. Verzweifelt sahen die Trojaner ihm dabei zu. Andromache jedoch, die zunächst noch nichts vom Tod ihres
Mannes gehört hatte, brach ohnmächtig zusammen.

Priamos bittet um die Herausgabe der Leiche
Der König Priamos beschloss, Achilles um die Leiche seines Sohnes zu bitten, bevor sie völlig entstellt war. Er ließ
einen Wagen mit kostbaren Geschenken beladen und fuhr in der Nacht unbemerkt ins Lager der Griechen. Im Zelt
des Achilles warf er sich zu Boden und flehte Achilles an, ihm die Leiche von Hektor herauszugeben. Dieser ließ sich
von der Rede des Königs erweichen, übergab ihm im Tauschen gegen die Geschenke den Toten und vereinbarte eine
mehrtätige Waffenruhe, damit Hektor von den Trojanern bestattet werden konnte.

Deutung
Die Ilias ist ein unvergleichliches Dokument archaischen Gedankengutes. Den Stoff der Ilias bilden zahlreiche Helden-
lieder und Mythen aus vorhomerischer Zeit, die über die Jahrhunderte von Rhapsoden tradiert worden waren. Die
besondere Leistung Homers besteht darin, diese Fülle an Geschichten über Götter und Helden zu einem einzigen
Werk zusammengefügt und zu einem einzigen Thema integriert zu haben. Wer sich näher mit ihr beschäftigt, lernt
eine völlig neue Weltsicht kennen. So wird schnell klar, dass die Archaier sich nicht als eigenständige Menschen,
sondern als von außen durch Umwelteinflüsse und Götterbeschlüsse gelenkte Wesen sahen. Jede Entscheidung ist
eine Eingebung von außen. Auch der Ehrbegriff ist ein gänzlich anderer, als wir ihn heute und seit dem Mittelalter
gebrauchen. In Homers Epos ist Ehre etwas Materielles und misst sich daran, was und wie viel jemand besitzt. So
allein ist auch der Zorn des Achill zu erklären, nachdem ihm seine Briseïs weggenommen wird- er wird quasi seiner
Ehre beraubt. Das zentrale Thema ist nicht der politisch-historische Kampf um Troja, sondern eine menschliche Re-
gung: Zorn.

Damit verabschiedet sich die Ilias von Preis und Ruhm übermenschlicher Kriegs- und Heldentaten und geht den
Gründen und den Folgen menschlicher Gefühle und Beziehungen nach. Sie zeigt, wie aus verletztem Ehrgefühl und
Geltungssucht bei Agamemnon das Bedürfnis nach Demütigung Achills resultiert. Auch Achills Groll über Agamem-
nons Verhalten ist aus der Sache und angesichts der Aufgabe, nach neun Jahren Belagerung endlich Troja zu erobern,
nicht gerechtfertigt. Die Konsequenzen, die Achill zieht, gleichen eher kindlicher Trotzhaltung und sind eines großen
Helden, der auch an die Folgen seines Tuns denken sollte, nicht würdig. Bei dem weiteren Verhalten des großen Hel-
den betont die Ilias seine menschlichen Schwächen. Der Höhepunkt ist in dieser Hinsicht sicher die Schändung der
Leiche Hektors, die Achill immer wieder um das Grab seines Freundes Patroklos schleift. Konsequent folgt auf die
Hybris die Ankündigung seines baldigen Todes. Strukturell ist damit die Grundkonzeption der großen griechischen
Tragödien des 5. Jahrhunderts von Aischylos, Sophokles und Euripides vorweggenommen, in denen ebenso auf Maß-
losigkeit und Hybris der Untergang folgt.

Der menschliche Blick trifft nicht nur die Griechen vor Troja, sondern auch deren Gegner. Die Ilias ist anders als man-
che moderne Heldengeschichte weit davon entfernt, die Gegner einer kriegerischen Auseinandersetzung als die Gu-
ten einerseits und Bösen andererseits zu dämonisieren. Die Protagonisten beider Seiten werden in ihren menschli-
chen Stärken und Schwächen dargestellt. Und das gilt erstaunlicherweise auch für die dritte Gruppe von Akteuren in
dem Kampf um Troja, die Götter. Die Götterwelt ist in der Ilias nach dem Muster einer menschlichen Familie geord-
net, mit Zeus als Familienoberhaupt, Hera als dessen Gattin und einer ganzen Reihe von Töchtern und Söhnen wie
z.B. Athene, Aphrodite, Apollon und Hermes. Und in dieser großen Familie gibt es allerlei Zwist, Eifersüchteleien,
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Täuschungsmanöver, Betrug, aber auch Mitleid, Hilfsbereitschaft und Verzeihen - ganz wie im normalen menschli-
chen Leben.


    5. Die Odyssee oder: die lange Heimfahrt nach Ithaka

„Sage mir, Muse, die Taten des vielgewanderten Mannes,
Welcher so weit geirrt, nach der heiligen Troja Zerstörung,
Vieler Menschen Städte gesehn und Sitte gelernt hat,
Und auf dem Meere so viel unnennbare Leiden erduldet,
Seine Seele zu retten und seiner Freunde Zurückkunft.
Aber die Freunde rettet' er nicht, wie eifrig er strebte;
Denn sie bereiteten selbst durch Missetat ihr Verderben:
Toren! welche die Rinder des hohen Sonnenbeherrschers Schlachteten;
siehe, der Gott nahm ihnen den Tag der Zurückkunft.
Sage hiervon auch uns ein weniges, Tochter Kronions.“
(Übersetzung von Johann Heinrich Voss, 1781)

Das Werk
Mit der Anrufung der Muse beginnt die – nach Homers Ilias – zweitälteste Dichtung der abendländischen Literatur.
Die Odyssee ist ein Epos in 12200 Hexametern, das spätestens um 700 v. Chr. entstanden ist. Der Inhalt der
24 Bücher der Odyssee, die einen Handlungszeitraum von zehn Jahren umfasst, sind die Irrfahrten des griechischen
Helden Odysseus nach Ende des Trojanischen Krieges, bevor er schließlich zu seiner Gattin Penelope heimkehrt. Der
erste Teil des Epos beginnt kurz vor der Heimkehr des Odysseus, und wird in Rückblenden und Liedern eines fahren-
den Sängers erzählt, die tatsächliche Berichtszeit umfasst nur 40 Tage. Parallel dazu schwenkt die Handlung in die
Heimat des Helden, wo sich eine Horde Freier in seinem Hause niedergelassen hat, die um die Gunst seiner Gattin
Penelope buhlen. Diese kann sich ihrer nur mit einer List erwehren und schickt ihren Sohn Telemachos aus, um nach
seinem Vater zu suchen. In Form von Rückblenden erzählt Odysseus selbst seine Abenteuer. Der zweite Teil des Epos
berichtet von Odysseus‘ Heimkehr nach Ithaka, wo er sich zunächst heimlich der Loyalität seiner Dienerschaft versi-
chert und schließlich blutige Rache an den Freiern nimmt.

Inhalt
Kikonen
Nach der Eroberung und Zerstörung der Stadt Troja machten sich die griechischen Helden auf, nach Hause zu segeln.
Odysseus, der König von Ithaka, segelte mit seinen Gefährten zunächst an die Küste Nordgriechenlands, wo das Volk
der Kikonen wohnte. Dort eroberten sie Ismaros, eine Stadt der Kikonen. Während dem anschließenden Fest-
schmaus wurden sie dann aber von weiteren Kikonen angegriffen und unter großen Verlusten in die Flucht geschla-
gen.

Lothophagen
Nach dem Abenteuer bei den Kikonen gerieten die Schiffe des Odysseus in einen furchtbaren Sturm, der sie von den
bekannten Küsten in ein fernes Land trieb, wo die Lothophagen lebten. Die Lothophagen, die "Lotosesser", sind eine
Bande von Rauschgiftsüchtigen, die seine Mannschaft anfixen, so daß sie die Heimat vergessen und für immer bei
den Lothophagen bleiben möchten. Sie ernährten sich von einer Frucht, die in jedem den Drang heimzukehren aus-
löscht. Odysseus schickte zunächst zwei Kundschafter aus, die von den Lothophagen freundlich aufgenommen und
bewirtet wurden. Als sie darauf nicht zurückkehrten, mussten Odysseus und die anderen Gefährten sie mit Gewalt
und gegen ihren Willen zu den Schiffen schleppen.

Kyklopen
                          Von den Lothophagen kam Odysseus auf eine kleine Insel. Dort ließ er die meisten Gefährten
                          zurück und erkundete nur mit einem Schiff das gegenüberliegende Land, wo die Kyklopen
                          hausten. Die Kyklopen waren einäugige Riesen, die einsam in Felshöhlen lebten und Ziegen
                          und Schafe hüteten. Ohne dies zu wissen, betrat Odysseus mit den Gefährten eine Höhle und
                          staunte über die reichen Vorräte, die er dort vorfand. Doch plötzlich kehrte der Kyklop zu-
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rück, trieb seine Schafe in die Höhle und verschloss den Eingang mit einem riesigen Stein. Als er bemerkte, dass sich
Menschen in seiner Höhle befanden, packte er zwei von ihnen und verzehrte sie auf der Stelle. Um aus der Höhle zu
entfliehen, ersann sich Odysseus folgende List: er schenkte dem Riesen einen Schlauch Wein, den dieser sogleich
austrank, worauf er betrunken einschlief. Sodann packte Odysseus mit seinen Gefährten ein gewaltiges Holzstück,
erhitzte dessen Spitze im Feuer und stieß diese in das eine Auge des Kyklopen. Von Schmerzen gepeinigt erwachte
dieser, konnte aber die Griechen nicht mehr sehen und fangen. Am Morgen rollte er den Stein vom Eingang weg,
tastete aber mit den Händen sorgfältig jedes Schaf ab, damit ihm die Menschen nicht entkommen konnten. Doch
Odysseus hatte auch dies vorausgesehen und seinen Leuten befohlen, sich unter den Schafen zu verbergen. Auf die-
se Weise konnten sie vor dem Riesen fliehen.

Aiolos
Rasch verließen Odysseus und seine Gefährten das Land der Kyklopen, bevor sie weiteren Schaden erlitten, und se-
gelten weiter. Auf ihrer Reise gelangten sie nun zu einer schwimmenden Insel, auf der sich der Palast des Aiolos, des
Gottes der Winde, befand. Aiolos empfing sie gastfreundlich und schenkte Odysseus zum Abschied einen Schlauch,
in dem alle ungünstigen Winde gefangen waren. Um sicher nach Hause zu kommen, durfte Odysseus diesen
Schlauch auf keinen Fall öffnen. So segelten sie mit gutem Wind zehn Tage lang und konnten bereits die Küsten Itha-
kas, ihrer Heimat, in der Ferne erkennen. Doch da übermannte Odysseus, der bisher kein Auge geschlossen hatte,
der Schlaf. Seine Gefährten, die schon lange darüber gerätselt hatten, was sich wohl in dem prall gefüllten Schlauch
verbarg, beschlossen, die Gelegenheit zu benutzen und den Schlauch zu öffnen. Kaum war dies geschehen, brachen
alle Winde in fürchterlichem Sturm hervor und trieben das Schiff geradewegs von Ithaka weg.

Laistrygonen
Von den Winden getrieben erreichte Odysseus nach langer Zeit das Land, in dem das Volk der Laistrygonen lebte.
Zwei Gefährten, die Odysseus als Kundschafter ausgeschickt hatte, kamen schon bald in die Stadt der Laistrygonen.
Doch wie erschraken sie, als sie die ersten Bewohner sahen. Es waren gewaltige Riesen, die sich sofort auf die Men-
schen stürzten, um sie zu verzehren. In panischer Angst rannten die Gefährten zu den Schiffen zurück, wobei sie von
den Riesen verfolgt wurden. Diese packten Felsblöcke und schleuderten sie auf die Schiffe. Bis auf eines wurden alle
getroffen und versanken mitsamt der Mannschaft.

Kirke
Nach dem Abenteuer bei den Laistrygonen war Odysseus nur noch ein Schiff geblieben. Traurig über den Verlust der
Gefährten ruderte er mit den verbliebenen Männern weiter. Schon bald gelangten sie zu einer kleinen Insel, auf der
Kirke herrschte. Kirke, die Tochter des Sonnengottes, war eine große Zauberin. Als die Gefährten, die zur Erkundung
ausgeschickt waren, zu ihr kamen, empfing sie sie freundlich und gab ihnen einen Zaubertrank. Kaum hatten sie da-
von gekostet, verwandelten sie sich in Schweine. Nur ein Gefährte, der vor dem Haus zurückgeblieben war, konnte
entkommen und Odysseus von dem Unglück berichten. Odysseus brach sogleich auf. Auf dem Weg begegnete ihm
der Gott Hermes, der ihm ein Zauberkraut gab, wodurch der Trank der Kirke unwirksam gemacht wurde. Kirke nahm
auch Odysseus freundlich auf, doch als er sich nicht in ein Schwein verwandelte, erschrak sie sehr. Odysseus zückte
sein Schwert, ging auf Kirke los und zwang sie dazu, seine Gefährten wieder in Menschen zu verwandeln. Nachdem
dies geschehen war, ließ er sich mit all seinen Gefährten von Kirke, die nun ihren Sinn gewandelt hatte, bewirten.

Unterwelt
Odysseus und seine Gefährten genossen die Zeit bei Kirke, wo sie sich als Gäste bewirten ließen und sich von den
Strapazen der Seereise erholen konnten. Doch schließlich mussten sie weiterreisen. Kirke hatte Odysseus noch ver-
raten, dass er vor der Heimkehr noch den Seher Teiresias befragen musste. Dieser war bereits gestorben; daher
musste Odysseus ans Ende der Welt fahren, wo sich der Eingang zur Unterwelt befand. Dort opferte er ein Schaf, von
dessen Blut die Schatten der Verstorbenen lecken konnten, so dass sie wieder eine Gestalt erhielten. Neben Teire-
sias sah Odysseus viele gefallene Freunde, die alle ihr Schicksal beklagten. Nachdem er von Teiresias die gewünsch-
ten Informationen erhalten hatte, war Odysseus froh, die unheimliche Stätte verlassen zu können.

Sirenen
                           Auf der Weiterfahrt von der Unterwelt kamen die Männer, wie es Kirke Odysseus bereits
                           vorausgesagt hatte, zur Insel der Sirenen. Die Sirenen waren sangeskundige Göttinnen, die
                           mit ihren Liedern die Seefahrer betörten und sie so auf die Klippen vor ihrer Insel lockten.
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Da Odysseus wusste, was auf sie zukommen würde, befahl er seinen Gefährten, sich die Ohren zu verstopfen. Ihn
selbst mussten sie an den Mast binden, so dass er den Gesang der Göttinnen hören konnte. Erst als sie die Insel weit
hinter sich gelassen hatten, durften die Gefährten Odysseus losbinden und sich das Wachs aus den Ohren nehmen.

Skylla und Charybdis
Kaum hatten Odysseus und seine Gefährten die Insel der Sirenen verlassen, hörten sie in der Ferne schon den Don-
ner einer wütenden Brandung. Dies war die Charybdis, ein gewaltiger Strudel, der jedes Schiff verschlang, das ihm zu
nahe kam. Gegenüber der Charybdis haste in einer Höhle die Skylla, ein grässliches Ungeheuer mit sechs Köpfen,
welches die vorbeifahrenden Schiffe bedrohte. Es gelang Odysseus, das Schiff zwar unversehrt an der Charybdis vor-
bei zu lenken, doch kaum hatte er diese Gefahr gemeistert, packte die Skylla schon sechs seiner Gefährten und ver-
schlang sie auf der Stelle. Nach einer anderen Version der Sage gelang es nur Odysseus allein, der Charybdis zu ent-
kommen, indem er sich an eine Meeresschildkröte klammerte.

Rinder des Helios
Wie froh waren Odysseus und seine Männer, als sie die doppelte Gefahr von Skylla und Charybdis hinter sich hatten!
Nach kurzer Zeit gelangten sie zur Insel Thrinakia, wo die Rinder des Sonnengottes Helios weideten.
Odysseus wusste, dass es verboten war, von diesen Rindern zu essen. Er befahl daher seinen Gefährten, die Tiere
nicht anzurühren. Zuerst störte sie das Verbot nicht, doch als sie wegen ungünstiger Winde wochenlang auf der Insel
zurückgehalten wurden und die Vorräte an Nahrung aufgebraucht waren, konnten sie der Versuchung nicht wider-
stehen. Und als Odysseus sich kurz vom Lager entfernt hatte, schlachteten sie die Rinder und verzehrten sie. Doch
die Strafe ließ nicht lange auf sich warten: Nachdem sie die Insel endlich verlassen konnten, gerieten sie sogleich in
einen gewaltigen Sturm, der das Schiff zerschmetterte. Nur Odysseus überlebte das Unglück allein. Nach zehn Tagen
erreichte er die Insel der Göttin Kalypso, die ihn freundlich aufnahm. Von dort kehrte er schließlich in seine Heimat
Ithaka zurück, wo er noch manche Gefahr bestehen musste, bevor er seine Frau in die Arme schließen konnte.

Vergleich Ilias-Odyssee
Beide Epen sind in einem gehobenen epischen Stil in Hexametern verfasst, der ionische und äolische Sprachelemen-
te beinhaltet. Ihre Sprache ist eine auf eine lange Tradition zurückgehende formelhafte Kunstsprache, die auf münd-
licher Überlieferung basiert. Dies ist besonders an den zahlreichen formelhaften Elementen, wie schmückenden
Beiwörtern, stereotypen Wendungen und Phrasen, zu erkennen, die immer wiederkehren. Während es in der Ilias
um die Darstellung von aus Leidenschaft resultierenden Handlungen und unlösbaren Konflikten geht und auch die
Götter mit negativen menschlichen Eigenschaften ausgestattet sind, kommt in der Odyssee in stärkerem Maße ein
moralischer Aspekt zum Tragen. Achilleus, Agamemnon, Priamos und die übrigen Figuren lassen sich nicht als gut
oder schlecht kategorisieren und sind als Täter und Opfer zugleich in ein grausames und letztendlich tragisch enden-
des Geschehen verwickelt. In der Odyssee dagegen wird das Böse vernichtet; das Gute siegt schließlich, und die Fa-
milie des Helden ist am Ende wieder vereint. Auch Odysseus zeigt im Umgang mit Personen niedrigeren sozialen
Ranges, wie Hirten, Dienern oder Bettlern, Tugenden wie väterliches Interesse, Verantwortungsbewusstsein und
Güte, die auf eine exemplarische Königsherrschaft schließen lassen und wodurch er als Vorbild eines guten, gerech-
ten Herrschers erscheint.

Wirkungen
Die Wirkung der Epen Homers auf die gesamte nachfolgende Literatur der Griechen kann gar nicht überschätzt wer-
den. Als maßgeblicher Gestalter ihres Götter- und Menschenbildes beeinflusste er Tragödie, Geschichtsschreibung
und Philosophie und wurde bereits in der Antike in den Kanon der klassischen Schulautoren aufgenommen. Beinahe
jeder Epiker in der abendländischen Literatur berief sich direkt oder indirekt auf das homerische Vorbild oder setzte
sich kritisch damit auseinander. In der römischen Literatur gab es bereits im 3. Jahrhundert v. Chr. eine Nachdich-
tung durch Vergils römisches Nationalepos Aeneis beinhaltete eine Widerlegung des individualistischen Wertesys-
tems der homerischen Epik Epos Paradise Lost (Das verlorene Paradies) des englischen Dichters John Milton – bei-
spielsweise die Schilderung des Kampfes im Himmel – haben eher komischen Charakter. Im Bereich des Romans,
beispielsweise im Don Quijote (1605) von Miguel de Cervantes oder im Ulysses (1922) von James Joyce, zeigen die
auf Homer anspielenden Passagen eine deutliche Neigung zu Parodie und Spott.

In Deutschland wirkte der Einfluss Homers besonders auf Goethe, Lessing und Herder, durch die Übersetzungen von
Johann Heinrich Voss (Odyssee, 1781, Ilias, 1793) wurden seine Werke breiten Bevölkerungsschichten zugänglich.
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Unter den Übertragungen der jüngeren Zeit ist besonders die des Altphilologen Wolfgang Schadewaldt zu nennen
oder in einem eher umgangssprachlichen Duktus: Ilias. Neu übertragen von Raoul Schrott. München 2008.


    6. Das Theater im antiken Griechenland
Im antiken Athen entstanden im 5. Jhd. v. Chr. die Tragödie und die Komödie. Die Tragödie entstand im Rahmen der
griechischen Festkultur und ging aus den Festen anlässlich des griech. Gottes Dionysos hervor. Aufführungen fanden
tagsüber in den großen Amphitheatern statt, in denen sich das ganze Volk versammelte. Die Inszenierungen waren
in Form von Wettkämpfen inszeniert, bei denen mehrere Tragödien nacheinander aufgeführt und von Kampfrichtern
bewertet wurden. Im 5. Jahrhundert v. Chr. wurden etwa 1000 Tragödien aufgeführt. ein Drittel davon stammt von
den drei bekanntesten Autoren Sophokles, Aischylos und Euripides. Die antike Tragödie und deren didaktische Funk-
tion, die Katharsis" wurde von Aristoteles beschrieben und dient bis heute als Definition der Tragödie: "Die Tragödie
ist Nachahmung einer guten und in sich geschlossenen Handlung von bestimmter Größe, in anziehend geformter
Sprache, wobei diese formenden Mittel in den einzelnen Abschnitten je verschieden angewandt werden - Nachah-
mung von Handelnden und nicht durch Bericht, die Jammer und Schaudern hervorruft und hierdurch eine Reinigung
von derartigen Erregungszuständen bewirkt." (Aristoteles: Poetik. Übersetzt und herausgegeben von Manfred Fuhr-
mann. Stuttgart: Reclam, 1994, S.19).Im antiken Athen entstand gleichzeitig die Komödie aus
dem Fruchtbarkeitsritual des Satyrspiels. Sie fand ihren Höhepunkt um 400 v. Chr. mit den Komödien
des Aristophanes (Alte Komödie) und Menander (Neue Komödie).

Dichter und Werke des griechisch-antiken Dramas (Auswahl)
Dichter                        Tragödien                                     Komödien
Aischylos                      Die Perser, Der gefesselte Prometheus, Die
(um 525 bis 456 v. Chr.)       Orestie (Trilogie: Agamemnon, Die Toten-
                               spende und Die Eumeniden)
Sophokles                      Aias, Antigone, König Ödipus, Elektra
(496 bis 406 v. Chr.)
Euripides                      Alkestis, Medea, Die Troerinnen, Die Bakchen,
(480 bis 406 v. Chr.)          Iphigenie bei den Taurern, Iphigenie in Aulis
Aristophanes                                                                 Die Wolken, Die Vögel, Lysistra-
(um 445 bis um 385 v. Chr.)                                                  te, Die Frösche, Die Kugelmenschen
                                                                             (laut einer Erzählung Platons)


    7. Oedipus Rex
               Autor
               Sophokles (* 497 v. Chr. - 405 v. Chr. in Athen) war ein griechischer Dichter. Seine erhaltenen Stücke,
               vor allem Antigone oder Ödipus, sind noch heute auf den Bühnen der ganzen Welt zu sehen. Er ver-
               fasste mindestens 123 Dramen, und siegte mindestens phänomenale 18 mal bei den Dionysien. 7
               Dramen und ein Satyrspiel sind überliefert. Ödipus erhielt bei den Dionysienspielen nur den 2. Preis,
               obwohl das Stück heute als der Prototyp einer Tragödie gilt.

Inhalt
Vor den Toren der Stadt Theben erschien einst ein geflügeltes Ungeheuer, die Sphinx. Die Sphinx lagerte auf einem
Felsen und legte den Bewohnern von Theben allerlei Rätsel vor, war die Antwort falsch, so zerriss und fraß die
Sphinx denjenigen, der es übernommen hatte, das Rätsel zu lösen. Das alles geschah, als die Stadt gerade um ihren
alten König Laios trauerte, der auf einer Reise erschlagen worden war. Und niemand wusste, wer es gewesen war.
Nun hatte Kreon, der Bruder der Königswitwe Iokaste, die Herrschaft ergriffen. Aber der Sohn von Kreon war von
Sphinx ergriffen und verschlungen worden, als er das aufgegebene Rätsel nicht lösen konnte. In seiner Not befahl
Kreon, dass derjenige, welcher die Stadt von der Würgerin befreien könnte, das Reich und seine Schwester als Ge-
mahlin erhalten sollte.



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Oedipus und das Rätsel der Sphinx
Kaum war die Bekanntmachung öffentlich kund getan, da betrat Ödipus an seinem Wanderstabe
die Stadt Theben. Die Gefahr und der Lohn reizten ihn, zumal er den Wert seines Lebens wegen
einer drohenden Weissagung gering einschätzte. Ödipus begab sich daher zu dem Felsen, auf
dem die Sphinx ihren Sitz genommen hatte, und ließ sich von ihr ein Rätsel geben. Das Unge-
heuer gedachte, es dem kühnen Fremdling nicht leicht zu machen und sprach: "Es ist am Morgen vierfüßig, am Mit-
tag zweifüßig, am Abend dreifüßig. Von allen Geschöpfen wechselt es allein die Zahl seiner Füße. Aber wenn es die
meisten Füße bewegt, sind Kraft und Schnelligkeit seiner Glieder am geringsten."Ödipus lächelte, als er dieses Rätsel
vernahm. "Dein Rätsel ist der Mensch!", rief er. "Am Morgen seines Lebens, solang er ein schwaches und kraftloses
Kind ist, steht und geht er auf seinen beiden Füßen und auf seinen Händen. Ist er erstarkt, so geht er am Mittage
seines Lebens nur auf zwei Füßen. Ist er endlich zum Greis geworden, bedarf er der Stütze, und nimmt einen Stab als
dritten Fuß zur Hand."Das Rätsel war glücklich gelöst, und die Sphinx stürzte sich aus Scham und Verzweiflung vom
Felsen in den Tod. Ödipus aber bekam zum Lohne das Königreich von Theben und die Hand der königlichen Witwe
Iokaste.

Die Pest bricht über Theben herein
So entsprangen aus dieser Verbindung nach und nach vier Kinder. Zuerst waren es die männlichen Zwillinge Eteokles
und Polyneikes, dann zwei Töchter, Antigone und Ismene. Mochte Ödipus auch manchen Gemütsfehler haben, so
war er doch ein guter und gerechter König. Glücklich und geliebt herrschte er über Theben. Da aber sandten die Göt-
ter eine Pest über das Land, die im Volke grausam zu wüten begann. Nicht ein einziges Heilmittel wollte gegen diese
Plage fruchten. Die Thebaner sahen in diesem Übel eine von den Göttern gesandte Geißel. Darum suchten sie Schutz
bei ihrem Herrscher, galt er doch als Günstling des Himmels. Männer und Frauen, Greise und Kinder, selbst die Pries-
ter erschienen vor seinem königlichen Palaste. Alle setzten sich um einen Altar, der vor den Toren stand.
Als Oedipus hervortrat und nach der Ursache der Versammlung fragte, antwortete ihm der älteste Priester: "Siehe
selbst, oh Herr, welch Elend auf uns lastet. Felder und Weiden sind von unerträglicher Hitze versengt. In unsern Häu-
sern wütet die verzehrende Seuche. Umsonst streckt die Stadt ihr Haupt aus den blutigen Wogen des Verderbens
empor. In dieser Not nehmen wir Zuflucht bei dir, geliebter Herrscher. Du hast uns schon einmal aus tödlicher Ge-
fahr befreit, als die grimmige Sphinx uns nach dem Leben trachtete. Gewiss ist dieses nicht ohne Hilfe der Götter
geschehen. Und darum vertrauen wir darauf, dass du uns auch dieses Mal zu Hilfe kommen wirst."

Kreon verkündet den Spruch des Orakels
"Arme Kinder", erwiderte Ödipus, "mir ist mir die Ursache eures Flehens wohl bekannt. Im Geiste habe ich nach Ret-
tung geforscht, und endlich glaube ich das Richtige gefunden zu haben. Meinen eigenen Schwager Kreon habe ich
zum Apollon nach Delphi gesandt, dass er dort frage, welches Werk oder welche Tat die Stadt befreien kann." Der
König sprach noch, als Kreon unter die Menge trat und den Spruch des Orakels verkündete. Dieser lautete: "Das Land
beherbergt einen Frevel. Lasst ab davon und pflegt nicht das, was sich der Wiedergutmachung entzieht. Denn der
Mord am alten König lastet als schwere Blutschuld auf dem Lande." Ödipus war noch immer ganz ohne Ahnung, dass
der Greis, den er einst erschlagen hatte, den Zorn der Götter heraufbeschworen hatte. Er ließ im ganzen Land ver-
künden, dass jeder es anzeigen solle, wenn er genauerer Kunde von der Mordtat habe. Den Täter selbst aber ver-
fluchte er, wünschte ihm Not und großes Verderben.

Tiresias beschuldigt Oedipus
Dann sandte Ödipus zwei Boten zu dem blinden Seher Tiresias, der mit seinem Blick für das Verborgene dem Apollon
fast ebenbürtig war. Der Seher erschien auch bald in der Volksversammlung, geführt von der Hand eines Knaben.
Ödipus trug ihm die Sorge des Landes vor und bat, der Seher möge seine Kunst darauf verwenden, die Spur des
Mordes aufzudecken. Tiresias aber streckte seine Hände zur Abwehr gegen den König aus und rief mit bebender
Stimme: "Entsetzlich ist das Wissen, das nur Unheil über mich bringt! Lass mich heimkehren, oh König! Trage du das
Deine und lasse mich das Meinige tragen!" Ödipus setzte dem Seher noch mehr zu, und das Volk begann ihn zu um-
ringen. Da warf sich Tiresias flehend auf die Knie, doch seine Lippen blieben verschlossen. Dies weckte den Jähzorn
in Ödipus, und er beschuldigte den Seher, in die Mordtat verstrickt zu sein. Diese Beschuldigung löste endlich die
Zunge des Sehers und er sprach: "Ödipus, du bist es doch selbst, der diese Stadt beleidigt! Ja, du bist der Königsmör-
der. Und schlimmer noch! Du lebst mit der Königswitwe Iokaste, deiner Mutter, fluchwürdig zusammen."


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Oedipus schwant Übles
Doch Ödipus wollte dies alles nicht wahr haben. Er beschimpfte den Seher nur als Zauberer und listigen Gaukler.
Noch blinder als der König war seine Gemahlin Iokaste. Kaum hatte sie von Ödipus erfahren, dass Tiresias den Mör-
der genannt hatte, da brach sie in laute Verwünschungen aus. "Sieh nur, Gemahl", rief sie, "wie wenig diese Seher
doch wissen. Mein erster Gatte, König Laios, hat einst einen Orakelspruch erhalten. Der besagte, dass er von Sohnes
Hand sterben werde. Nun wurde er aber von Räuber in einem Hohlweg erschlagen, wie man mir sagte. Und unser
einziger neugeborener Sohn wurde mit gebunden Füßen ins öde Gebirge geworfen, wo er sicher nicht überlebt hat.
So erfüllen sich also die Sprüche der Seher!"

Diese Worte sprach die Königin mit voller Hohn, doch Ödipus ahnte nun das grausige Unheil. "In einem Hohlweg ist
der alte König gefallen?", fragte er bangend. "Wie war seine Gestalt, sein Alter?" "Groß war er mit ersten Greisenlo-
cken im Haar", antwortete Iokaste und begriff nicht, was Ödipus so tief bewegte. "Tiresias ist nicht blind, Tiresias ist
sehend!" rief Ödipus voller Entsetzen, als er die unbarmherzige Wahrheit erkannte.

Die Befragung des Schäfers
Jetzt konnte er nicht anders, er musste immer weiter forschen. So kam Ödipus auch dahinter, dass ein Diener des
alten Königs den Mord im Palast mit angesehen hatte. Als dieser Diener aber erfuhr, wer da auf dem Throne saß, ließ
er sich weit weg von der Stadt als Hirte nieder. Doch Ödipus verlangte nun ohne Unterlass, den Diener Auge in Auge
zu sprechen. Noch bevor der Diener herbeigeschafft war, erschien ein Bote aus Korinth. Er meldete Ödipus den Tod
seines Vaters Polybos und rief ihn dazu auf, den Thron des Landes zu besteigen. Als die Königin dies hörte, sprach sie
triumphierend: "Wie töricht diese Weissagungen doch sind! Der Vater, der von Ödipus gemordet werden sollte, ist
sanft in seinem Bette verschieden!" Doch Ödipus glaubte nicht daran, dass sein Orakelspruch unerfüllt bleiben könn-
te. Darum wollte er auch nicht nach Korinth gehen, weil dort seine vermeintliche Mutter noch lebte.

All diese Zweifel konnte der Bote aus Korinth aber bald entkräften. Denn er war derselbe
Mann, der auf dem Berge Kithairon einen gefesselten Knaben von einem königlichen Die-
ner empfangen hatte. Auch konnte der Bote Zeugnis dafür ablegen, dass der König von
Korinth den Ödipus nur als Pflegesohn in seine Obhut hatte. Ein dunkler Trieb nach Wahr-
heit ließ jetzt Ödipus nach dem Diener forschen, der das gefesselte Kind übergeben hatte.
Ödipus erfuhr von seinem Gesinde, dass es derselbe Diener sei, der den Mord am alten
König mit angesehen hatte, jetzt aber als Hirte sein Leben in der Ferne friste.

Dieser Hirte war nun endlich auch herbeigeschafft. Der Bote aus Korinth erkannte in ihm sogleich den königlichen
Diener, der einst den Knaben auf dem Berge Kithairon übergeben hatte. Der Hirte wurde ganz blass vor Schrecken
und wollte alles leugnen. Doch zornige Drohungen von Ödipus entlockten ihm das wahre Geschehen. Der Hirte legte
also dar, dass der ermordete König der Vater von Ödipus sei und Königin Iokaste die Mutter. So erfuhren es alle, dass
Ödipus der Gemahl seiner eigenen Mutter war.

Der Tod Iokastes und die Blendung Oedipus‘
In ganz Theben wurde darüber geredet, dass König Ödipus seinen Vater getötet und seine Mutter Iokaste geheiratet
hatte. Das Entsetzliche war nun enthüllt und kein Zweifel stand dagegen. Als Ödipus dieses hörte, stürzte er mit
wahnsinnigem Schrei davon, irrte im Palast umher und verlangte nach einem Schwert. So wollte er seine Mutter und
Gattin, die im wie ein Ungeheuer vorkam, von der Erde vertilgen. Doch jeder im Palast beeilte sich nur, dem Rasen-
den aus dem Wege zu gehen. Da lief Ödipus grässlich schluchzend zu seinem Schlafgemach und warf das Tor auf.

Ein grauenhafter Anblick hemmte plötzlich seine schnellen Schritte. Hoch über dem Lager erblickte er schwebend,
Iokaste, die sich mit einem Strang erhängt hatte. Ödipus stand wie versteinert mit zerrauftem Haar da und konnte
seinen Blick nicht von ihr wenden. Dann aber näherte er sich zaghaft, mit erstickenden Worten, ließ das aufgezogene
Seil herab und senkte die Leiche langsam zu Boden. Wie sie nun vor ihm lag, riss Ödipus vom Irrsinn getrieben die
goldenen Brustspangen aus dem Gewand seiner Frau und trieb sich das spitze Gold tief in seine Augenhöhlen. Mit
einem Aufschrei sank Ödipus blutüberströmt auf die Knie und weinte bitterlich. Dann verlangte er, der sich selbst
geblendet hatte, aus dem Tor geführt zu werden. Sein Wille war, dass er als Fluch des Himmels und als Scheusal der
Erde dem Volke von Theben vorgestellt werde.


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Das Mitgefühl des Volkes und der Weg in die Verbannung
Die Diener erfüllten sein Verlangen, aber das Volk empfing den einst so geliebten und verehrten Herrscher nicht mit
Abscheu, sondern mit wahrem Mitleid. Auch sein Schwager Kreon, der im Streit von Ödipus gegangen war, eilte nun
herbei. Er wollte den gestraften Mann in die Obhut seiner Kinder geben. Solches Mitgefühl hatte der gebeugte Ödi-
pus nicht erwartet. Umso leichter fügte er sich in sein Schicksal und übergab den Thron an seinen Schwager. Dieser
sollte ihn für die Söhne von Ödipus in Verwahrung behalten. Weiterhin erbat er sich für seine tote Gemahlin und
Mutter ein Grab und für seine verwaisten Töchter den Schutz des neuen Herrschers. Für sich selbst aber wünschte er
die Ausstoßung aus dem Lande, und die Verbannung auf den Berg Kithairon. Dort wollte er jetzt leben oder sterben,
nach dem Willen der Götter.

Bevor Oedipus nun seine Verbannung antrat, verlangte er nach seinen Töchtern, deren Stimme er noch einmal hören
wollte. Auch legte er seine Hände auf ihre unschuldigen Häupter und segnete sie. Dann richtete er ein letztes Wort
an Kreon und dankte ihm für alle Liebe, die dieser ihm erwiesen hatte. Darauf führte Kreon den Ödipus in das Haus
zurück, in dem er jüngst noch als mächtiger Herrscher und als Retter von Theben gelebt hatte. Nur eine kurze Frist
sollte ihm noch gegeben sein, bevor er als blinden Bettler die Tore der Stadt und die Grenzen seines Königreiches zu
verlassen hatte.

Selbsterkenntnis als ein Thema der Tragödie Oedipus Rex
Selbsterkenntnis ist wohl eine der gefürchtetsten und unangenehmsten Erfahrungen, die ein Mensch machen kann.
Lange versucht er sich über etwas hinwegzutäuschen, doch irgendwann wird die Beweislast erdrückend und die
Wahrheit dringt ins Bewusstsein des Betroffenen. Dabei kann manchmal Schreckliches ans Licht kommen. Auch im
Antiken Theater war die Selbsterkenntnis schon ein ebenso spannendes wie abstoßendes Thema. König Ödipus wird
unwissentlich Vatermörder und ehelicht seine Mutter, was er nach langer Weigerung erkennen und verarbeiten
muss.

Der hier vorgestellte Abschnitt setzt ein, nachdem Ödipus erkennen musste, dass er unwissentlich seinen Vater getö-
tet und seine Mutter geehelicht hat. Iokaste, seine Frau und Mutter, erhängt sich daraufhin. Ödipus blendet sich
selbst und verlangt, außer Landes geworfen zu werden. So endet der vierte und letzte Epeisodion, und Ödipus und
der Chor singen gemeinsam ein letztes Klagelied.

Die Gesprächsentwicklung in diesem Kommos lässt sich in drei Phasen gliedern. In der ersten Phase zeigt der Chor
Mitgefühl für Ödipus. Er beklagt sein Schicksal und dramatisiert. Zu Beginn ist er auch noch dankbar für die Unters-
tützung des Chores, und als der Chor auf die Blendung zu sprechen kommt, erklärt Ödipus, es sei göttlicher Wille
gewesen und außerdem sei sein Leben, nach dem, was er erkannt habe, sinnlos geworden.

Der Chor bezeichnet ihn als einen gebrochenen Mann, den er sich wünscht, nie gekannt zu haben und wendet sich
damit von Ödipus ab. Darauf folgt ein langer Monolog des Ödipus, in dem sein Erkenntnisprozess den Höhepunkt
erreicht. Zu Beginn wendet er sich vom Chor ab. Er möchte ihn so nicht mehr zum Berater haben. Ödipus sinnt nach
über die Taten, derer er teils unbewusst schuldig geworden ist. Außerdem wünscht er sich auch nichts mehr hören
zu können, um sich so besser vor seiner Erkenntnis schützen zu können. Aber er ist inzwischen gefasster und sieht
seinem Schicksal klar ins Auge. Letztendlich erkennt er, dass er mit seiner Schuld, die darin liegt, dass er die Gesetze
der Götter aufs Schändlichste gebrochen hat, nicht weiterleben kann..

Im weiteren Verlauf stellt Ödipus Fragen, ruft aus, wiederholt Wörter und verwendet Steigerungen wie „hinweg den
Verworfenen, den Verfluchtesten und auch den Göttern Verhasstesten unter den Sterblichen!“ (v.1344f). Damit
bringt er seine Verzweiflung, den Drang des „Nichtglaubenwollens“ und schließlich seinen sich steigernden Erkenn-
tnisprozess zum Ausdruck. Auch die aussichtslose Lage, in der er sich befindet, spiegelt sich in seiner Sprache wieder:

Der Monolog dient der Aufklärung seiner Situation und ermöglicht es ihm, damit umzugehen vor sich selbst. So stellt
er Fragen, verbietet sich seinen Wunsch, die Kinder noch einmal sehen zu wollen, und hält gelegentlich inne, was
sich in Parenthesen ausdrückt. Er wünscht und verwünscht, erklärt und versteht und verurteilt sich letzten Endes
selbst ein zweites Mal: „Kommt, überwindet euch, anzufassen den Unglücksmann! Folgt mir habt keine Angst!
(v.1413f). Ödipus ist geblendet. Doch nun, da er geblendet ist, wird er „sehend“ für die Wahrheit.


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Im Fall von Ödipus war die Selbsterkenntnis sein Ende, doch sich selbst zu erkennen muss nicht zwingend das Aus
bedeuten. Sicherlich erfordert es Mut, sich Fehler einzugestehen, doch bietet es auch Möglichkeiten, sich selbst zu
entdecken und neue Aufgaben anpacken zu können. Schließlich ist „sich selbst erkennen“ Voraussetzung, um sich
weiterentwickeln zu können. Bei Sophokles sollte der Fall Ödipus die Zuschauer sicherlich erschrecken und Mitleid
hervorrufen, aber vielleicht auch dazu auffordern, mit sich selbst ins Reine zu kommen und lange Verdrängtes vor
sich zuzugeben.

Literatur:
Oedipus in der Version von Gustav Schwab: http://gutenberg.spiegel.de/schwab/sagen/sch1531.htm


    8. Die Komödie
Die Komödie entstand wie auch die Tragödie aus dem Dionysoskult, wobei Phallosträger Lieder zu Ehren Dionysos'
sangen, um einen Vegetationszauber auszuüben. Seit 488 v. Chr. gab es die ersten Aufführungen von Komödien in
Athen, die sich zwei Jahre später zu Dichterwettbewerben ausdehnten. Als Begründer der attischen Komödie gilt
Kratinos. Er legte mit seinem Humor und seinem Spott den Grundstein für die weiteren Komödiendichter. Der wohl
berühmteste Dichter dieser Zeit ist Aristophanes (um 448 - 385 v. Chr.). Mit seinen Satiren und Karikaturen wie z.B.
von Sokrates in seinem Stück "Wolken" begeisterte er das Publikum und kritisierte zugleich politische Zustände und
wissenschaftliche Strömungen.

Die Kugelmenschen
Der Philosoph Platon (427-347 v. Chr.) berichtet in seinem Werk Symposion dass auf diesem Gastmahl bei dem um
es das Thema Eros geht der Komödiendichter Aristophanes die folgende Geschichte der Kugelmenschen erzählt:
 „Eines Tages wurde es den Göttern am Olymp langweilig und sie beschlossen, ein Ebenbild von ihnen zu schaffen.
Dieses sollte sie amüsieren und ihnen Abwechslung in die Ewigkeit bringen. So formten die Götter also ein Ebenbild
von ihnen, mit einer großen Ausnahme: Von all den Eigenschaften die jeder einzelne besaß, nahmen sie nur das Bes-
te: Die Gerechtigkeit der Athene, die Güte von Hera, die Liebe der Aphrodite, die Größe des Zeus, usw. . So schickten
sie diese Kugelmenschen, die mit 4 Armen, 4 Beinen, 2 Köpfen, 2 Herzen... ausgestattet waren, den Olymp herab, um
auf der Erde, auf Mutter Gaia, Leben zu führen. Doch bald merkten die Götter, daß der Kugelmensch zu perfekt war.
Er wuselte irrsinnig schnell durch die Gegend, machte keine Fehler, wie die Götter es bisweilen taten, er stritt auch
nie, wie das die Götter des öfteren taten. Davon beängstigt, dass diese Leben die Götter, deren Schöpfer, einst über-
flügeln würden, selbst diese töten, wie es einst Zeus mit seinem Vater Chronos, und dieser mit seinem Vater Chaos
tat, trafen die Götter wieder zusammen, um einen Entschluß zu fassen. Der Kugelmensch, das Wesen, welches sie
geschaffen hatten, sollte fortan nur noch als Hälfte umherirren und das ganze Leben mit der Suche nach seiner ande-
ren Hälfte verbringen müssen.“


    9. Sappho und ihre Lyrik
Sappho (*um 630 v. Chr., † um 570 v. Chr.) war eine antike griechische Dichterin und Philosophin. Sie gilt als bedeu-
tendste Lyrikerin des klassischen Altertums und gehört lebte in Mytilene auf der Insel Lesbos, einem kulturellen
Zentrum des 7. vorchristlichen Jahrhunderts. In ihren Gedichten spielt die erotische Liebe eine wichtige Rolle. Nach
heutigen Schätzungen sind nur ca. 7 Prozent von ihrem Gesamtwerk erhalten geblieben.

Leben
Das Leben der Sappho ist nur in späteren Legenden aufgezeichnet. Denen nach entstammte sie einem alten mytile-
nischen Adelsgeschlecht und musste aus politischen Gründen nach Sizilien fliehen. Um das Jahr 591 v. Chr. kehrte sie
nach Lesbos zurück und versammelte dort eine Gruppe von Schülerinnen um sich. Sie unterrichtete die jungen Frau-
en in musischen Fertigkeiten wie Poesie, Musik, Gesang und Tanz und trat mit ihnen bei Festen zu Ehren der Götter
auf. Es gibt Vermutungen, dass sie mit einem reichen Kaufmann verheiratet war und eine Tochter na-
mens Kleis hatte, deren Haar sie in einem Gedicht als „blonder als das Fackellicht“ beschreibt. Über Sapphos Tod
wird zwar berichtet, dass sie sich aus unerwiderter Liebe von einem Felsen gestürzt haben soll; dies wird heute als
erst in christlicher Zeit entstandene Legende angesehen.


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Werk
Zum Werk der Sappho gehörten Götterhymnen, Hochzeits- und Liebeslieder, die in der Antike in neun Büchern ge-
sammelt waren, heute jedoch alle verloren sind. Die Überlieferung muss sich daher auf Verweise und Zitate anderer
Autoren oder auf Papyrusfetzen stützen. Bis heute konnten nur vier ihrer aiolischen Gedichte auf diese Weise mit
hinreichender Sicherheit rekonstruiert werden. Eines der letzten davon wurde erst im Jahre 2004 bekannt, als die
beiden Professoren Michael Gronewald und Robert Daniel vom Institut für Altertumskunde an der Universität zu
Köln auf einem Papyrus, der als Mumienkartonage verwendet worden war, Teile davon fanden und zur Rekonstruk-
tion einsetzen konnten.

Sappho gilt als die bedeutendste Lyrikerin der Antike, besonders gerühmt wurde im Altertum ihre klare und aus-
drucksstarke Sprache, durch die sie unter anderem zum Vorbild des römischen Dichters Horaz wurde.
Auch Catull beeindruckten Sapphos Werke, so dass er sie sogar in seinen Gedichten zitierte. Zwei Jahrhunderte nach
ihrem Tod schätzte Platon ihre Lyrik so sehr, dass er Sappho als zehnte Muse bezeichnete. Dass viele ihrer Lieder
homoerotische Anklänge haben und sich auf die Liebe zwischen Frauen beziehen, lässt sich noch heute an den Be-
zeichnungen „lesbisch“ und etwas seltener „sapphisch“ erkennen, die für weibliche Homosexualität gebraucht wer-
den. Weibliche Homosexualität war im antiken Griechenland auch im öffentlichen Rahmen anzutreffen, aber nicht
mit derselben positiven Bedeutung wie die männliche. Zumindest in Sparta war jedoch die lesbische Bindung ein
Bestandteil der Erziehung.

Textbeispiel
                                                  Sappho: Die Priamel-Ode

                                                       Mancher sagt,
                                              ein Wagenheer sei das Schönste
                                                  auf der schwarzen Erde,
                                                  und mancher: Fußvolk,
                                                   mancher: eine Flotte;
                                                       ich aber sage:
                                                   das, was man lieb hat.

                                                  Einem jeden Menschen
                                                    dies klar zu machen
                                                        ist sehr leicht.
                                                   Es hat ja die schönste
                                                   aller Menschenfrauen,
                                                         Helena, einst
                                                den besten Gatten verlassen,

                                                    und sie stieg ins Schiff
                                                   für die Fahrt nach Troja,
                                                     und vergaß ihr Kind,
                                                     und der lieben Eltern
                                                    dachte sie nicht mehr;

                                                   es entführte Kypris
                                                   sie durch die Liebe.
                                      In der Göttin Hand ist das Herz geschmeidig
                                      jedes Menschen, unsre Gedanken lenksam.
                               So hat sie auch mich an das ferne Mädcheneben erinnert,
                                         deren holdes Schreiten ich lieber sähe
                                     und des Lichtes Spiel auf dem blanken Antlitz

So kurz das Gedicht ist, enthält es doch seinem Inhalt nach alle Elemente der großen Chorlyrik; Meditation dominiert
über den Ausdruck des momentanen Gefühls. Die Form ist nicht anders wie sonst; [...]. Die Frage nach dem Schöns-
                                                                18
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ten auf dieser Welt wird in dem Gedicht zweimal beantwortet: grundsätzlich am Schluss der ersten Strophe, und in
Anwendung auf die Sprecherin in der letzten Strophe. Sappho findet die höchste Schönheit nicht in der imposanten
Entfaltung der prangenden Macht, sondern im intimen Reiz eines geliebten Menschen; und nicht in dem, was alle
Menschen gleichermaßen bewundern, sondern in dem, was jeder für sich liebt und wünscht.

Sapphos gesamte Dichtung gründet sich auf diese Stellungnahme; dass es ihm auf den subjektiven und persönlichen
Wert (oder Unwert) mehr ankommt als auf den objektiven und allgemeinen. Eben diese Stellungnahme war die Vor-
aussetzung dafür, dass die Epik von der Lyrik abgelöst wurde. Schön ist für sie, so sagt Sappho, was wir jeweils lieben
und begehren; aber es steht nicht bei uns, was wir lieben wollen. Helena besaß, was sich eine Frau nur irgend wün-
schen kann, und doch gab sie alles hin um einem fremden Mann zu folgen, weil die Leidenschaft sie dazu zwang.
Dieselbe Aphrodite, die Helena in der Ferne ihr Glück suchen ließ, hat Sappho soeben an die ferne Anaktoria erinnert
und sie mit heißem Verlangen nach dem Anblick des geliebten Mädchens durchschauert. Ohne Zweifel war dies Er-
lebnis der Anlass des Gedichts. Sappho war von einer Welle der Sehnsucht überflutet worden; dann hat sie über das
reflektiert, was ihr widerfahren war, und es auf das Prinzip zurückgeführt, das ihm zu Grunde liegt. Nach der Weise
der Chorlyrik beginnt sie ihr Lied mit der Aufstellung eines allgemeinen Satzes, um dann diesen Satz mit einem my-
thischen Beispiel zu belegen; als zweiter Beleg folgt später Sapphos persönliche Erfahrung. Zwischen dem Mythos
und dem gegenwärtigen Ereignis vermitteln neue Gnomen, in denen in Frömmigkeit der Götter gedacht wird. Im
Gegensatz zu den anderen Gedichten distanziert sich dieses Lied vom Erlebnis und redet von ihm erst an letzter Stel-
le.

Die Tragweite von Sapphos erstaunlicher These war sehr groß; sie hat die Kraft in sich, jeden absoluten Wert zu stür-
zen. Denn alles Erstrebenswerte fiel unter den Begriff des Schönen, so dass "das Schöne" zur Richtschnur für das
praktische Handeln wurde. Nach Sappho hat Helena, selbst die schönste und begehrteste aller Frauen, ein Leben mit
Paris schöner gefunden als das, was sie vorher führte; und sie dachte und handelte so, weil sie von Liebe ergriffen
war. Wir begehren nicht das, was an sich schön ist, sondern wir finden schön, was wir begehren. Damit ist halb
schon die These des Sophisten Protagoras vorweggenommen, nach welcher der Mensch das Maß aller Dinge ist.

Rückblickend ist nun freilich doch zu bemerken, dass das Liebesleben den Scheinwerten der Männerwelt entgegens-
tellt und überordnet, doch tatsächlich das sehnende Begehren, das Heimweh nach der fernen Freundin alles konven-
tionell Werthafte auf- und überwiegt; das könnte fast dasselbe scheinen, aber gerade dieses nicht aggressive, son-
dern gelassene Sich-Hineinstellen ins Eigene, in Leid und Glück, dieses indifferente Gelten lassen des anderen als
eines ebenfalls Möglichen, aber sie nicht Betreffenden, dieses Nicht-Anfechten und Nicht-Angefochten werden an-
gesichts der gängigen Konventionen, macht wohl das eigentlich Sapphische und, wie man empfinden wird, das Noble
und Großgeartete ihres Dichtens aus.

Literatur:
Michael Schroeder: Sappho von Lesbos: Europas erste Dichterin. Biographie. Artemis & Winkler, 2008.


    10.         Die Fabeln des Aesop
Der phrygische Sklave Aesop (um 550 vor Chr.) soll angeblich als erster Fabeln indischer und griechischer Herkunft
gesammelt und aufgezeichnet haben. Dass sein Name untrennbar mit der Geschichte der Fabel verbunden ist, er-
klärt sich zum einen aus der großen Zahl und der Qualität seiner Fabeln, zum anderen aus der Tatsache, dass zahlrei-
che Fabeldichter späterer Zeiten auf die Fabeln Aesops zurückgreifen und seine Motive, sein Figureninventar, seine
Kompositionsprinzipien oft nur variieren.

Die Fabel wird in einer konkreten Situation und mit einer bestimmten Absicht erzählt. Am Beispiel des sagenumwo-
benen phrygischen Sklaven „Aesop", dessen Fabeln untrennbar mit seinem Lebenslauf verbunden sind, läßt sich
anschaulich der Realitätsbezug und die didaktisch - kritische Absicht der Fabel aufzeigen. Dabei ist nicht einmal mit
Sicherheit belegt, ob Aesop wirklich gelebt hat, oder ob er nur eine „Verkörperung des fabulierenden griechischen
Volksgeistes" ist.

In legendenartigen Darstellungen erscheint Aesop als ein körperlich missgestalteter Mensch, der von der Göttin Isis
mit Weisheit und Redegewandtheit ausgestattet wurde. Mit diesen Eigenschaften versehen, zog Aesop durch die
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Länder Kleinasiens und Griechenlands - und erzählte seine Fabeln, in denen er soziale Ungerechtigkeiten und men-
schliches Fehlverhalten anprangerte. Selbst den Mächtigen gegenüber äußerte er Kritik in Form geistreicher Fabeln,
und er versuchte, deren Verhalten durch seine Lehren zu beeinflussen. Dabei ergriff Aesop stets die Partei der
Schwachen.

Seine kritische Haltung brachte Aesop häufig in Konflikt mit der Obrigkeit. Doch selbst in schwierigen Situationen
äußerte er im Schutz der Fabeln seine Kritik. In Delphi geriet Aesop so in Streit mit der Priesterschaft, die seinen Ein-
fluss auf das Volk fürchtete. Aus Angst vor dem Volk ließen die Priester ihn heimlich verhaften: Sie hatten eine gol-
dene Schale aus dem Tempel des Apoll in sein Reisegepäck geschmuggelt und ihn als gemeinen Kirchenräuber ver-
leumdet. Aesop wurde in den Kerker geworfen und zum Tode verurteilt.

Die Fabel als literarische Gattung
Die Fabel bezeichnet eine in Vers, meist jedoch in Prosa verfasste kurze Erzählung mit belehrender Absicht, in der
vor allem Tiere, aber auch Pflanzen und andere Dinge oder fabelhafte Mischwesen, menschliche Eigenschaften be-
sitzen (Personifikation) und handeln (Bildebene). Die Dramatik der Fabelhandlung zielt auf eine Schlusspointe hin, an
die sich meist eine allgemeingültige Moral (Sachebene) anschließt. Im Mittelpunkt der Handlung stehen oft Tiere,
Pflanzen oder andere Dinge, denen menschliche Eigenschaften zugeordnet sind. Die Tiere handeln, denken und
sprechen wie Menschen. Die Fabel will belehren und unterhalten (fabula docet et delectat). Die Personifikation der
Tiere dient dem Autor häufig als Schutz vor Bestrafung o.Ä., denn er übt keine direkte Kritik, etwa an Zeitgenossen

Textbeispiel:
Der Hund und das Stück Fleisch
Ein großer Hund hatte einem kleinen, schwächlichen Hündchen ein dickes Stück Fleisch abgejagt. Er brauste mit sei-
ner Beute davon. Als er über eine schmale Brücke lief, fiel zufällig sein Blick ins Wasser. Wie vom Blitz getroffen blieb
er stehen, denn er sah unter sich einen Hund, der gierig seine Beute festhielt. "Der kommt mir zur rechten Zeit",
sagte der Hund auf der Brücke, "heute habe ich wirklich Glück. Sein Stück Fleisch scheint noch größer zu sein als
meins."

Gefräßig stürzte sich der Hund kopfüber in den Bach und biss nach dem Hund, den er von der Brücke aus gesehen
hatte. Das Wasser spritzte auf. Er ruderte wild im Bach umher und spähte hitzig nach allen Seiten. Aber er konnte
den Hund mit dem Stück Fleisch nicht mehr entdecken, er war verschwunden. Da fiel dem Hund sein soeben erbeu-
tetes, eigenes Stück ein. Wo war es geblieben? Verwirrt tauchte er unter und suchte danach. Doch vergeblich, in
seiner dummen Gier war ihm auch noch das Stück Fleisch verlorengegangen, das er schon sicher zwischen seinen
Zähnen gehabt hatte.

Textbeispiel:
Der Fuchs und der Rabe
Ein Rabe hatte einen Käse gestohlen, flog damit auf einen Baum und wollte dort seine Beute in Ruhe verzehren. Da
es aber der Raben Art ist, beim Essen nicht schweigen zu können, hörte ein vorbeikommender Fuchs den Raben über
dem Käse krächzen. Er lief eilig hinzu und begann den Raben zu loben: »O Rabe, was bist du für ein wunderbarer
Vogel! Wenn dein Gesang ebenso schön ist wie dein Gefieder, dann sollte man dich zum König aller Vögel krönen!«
Dem Raben taten diese Schmeicheleien so wohl, daß er seinen Schnabel weit aufsperrte, um dem Fuchs etwas vor-
zusingen. Dabei entfiel ihm der Käse. Den nahm der Fuchs behänd, fraß ihn und lachte über den törichten Raben.
Der Fuchs wird hier für seine Schmeichelei belohnt - der Dumme ist der Rabe, der allzu gern auf die Schmeicheleien
des Fuchses hereinfällt. Bestraft wird hier also die Eitelkeit und Selbstgefälligkeit, gegen die sich diese Version der
Fabel vom Fuchs und Raben richtet.

Textbeispiel:
Die Krähe und die Vögel
Jupiter wollte den Vögeln einen König geben und setzte einen Tag fest, an welchem sie zusammenkommen sollten.
Die Krähe sammelte im Bewußtsein ihrer Hässlichkeit die Federn, welche den andern Vögeln ausgefallen waren, und
bekleidete sich mit denselben. Als nun der bestimmte Tag kam, ging sie in ihrem bunten Schmucke in die Versamm-
lung. Doch da sie Jupiter wegen ihrer Schönheit zum Könige erwählen wollte, rissen ihr die erzürnten Vögel die Fe-


                                                                20
vhs-Kolleg Allgemeinbildung, Semester IV: Meilensteine der klassischen und modernen Literatur
dern aus, indem ein jeder diejenigen heraus zupfte, welche ihm zugehörten. So war die Krähe bald wieder nichts
anderes, als was sie ursprünglich gewesen war, nämlich eine hässliche Krähe.

Auch jene Menschen, die sich durch fremde Macht erhoben haben und sich nun ihres Reichtums brüsten, gewähren,
wenn jeder zurückfordert, was ihm gebührt, einen kläglichen Anblick und sind dann nichts mehr, als was sie früher
waren

Literatur:
Ausgewählte Fabeln Aesops unter: http://www.udoklinger.de/Deutsch/Fabeln/Aesop.htm
Rainer Nickel (Herausgeber): Äsop. Fabeln. Mit zahlreichen Holzschnitten aus dem Ulmer Äsop. Artemis 2007.


    11.        Rom und die lateinische Literatur
Die Griechen verbreiteten ihre Bildung und Kultur in den folgenden Jahrhunderten im gesamten Mittelmeerraum
und seit Alexander dem Großen auch im Orient und nach Zentralasien hinein. Als letzter Nachfolgestaat des Alexan-
derreichs wurde im Jahre 30 v. Chr. das Ägypten der letzten ptolemäischen Königin Kleopatra VII. ins Römische Reich
eingegliedert. Damit war der Hellenismus als politischer Faktor ausgeschaltet. Die griechische Kultur jedoch lebte mit
unverminderter Kraft im Römischen Reich fort und prägte es bis zu seinem Untergang im Westen 476 und darüber
hinaus. Die Römer brachten die antike Kultur bis nach Mittel- und Nordwesteuropa, wo sie sich seit dem frühen Mit-
telalter zur christlich-abendländischen Kultur wandelte.

Römisches Reich
Nach den Griechen wurden die Römer zu den zweiten Trägern und Vermittlern der antiken Kultur. Je weiter sie als
Eroberer in die Länder der Levante vordrangen, desto stärker ließen sie sich von deren Kultur beeinflussen. Literatur,
Philosophie, Kunst, Architektur und Alltagskultur der Griechen wurden von den Römern nun auch im westlichen Mit-
telmeerraum verbreitet und bis zum Rhein und zu den britischen Inseln.

Lateinische Literatur
Die Literatur der Römischen Republik und des Römischen Reiches wurde in Latein verfasst. Die Perioden der lateini-
schen Literatur werden traditionell aufgeteilt in das Goldenes Zeitalter, das etwa die Periode vom Anfang des 1.
Jahrhunderts v. Chr. bis zur Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr., und das Silberne Zeitalter, das die übrige klassische
Periode umfasst. Zum Goldenen Zeitalter zählt man die großen Dichtungen Vergils, Ovids und Horaz', sowie die Wer-
ke Caesars und Ciceros. Ins Silberne Zeitalter fallen z.B. die Werke Plinius, Senecas, Junenals und Martials.


    12.        Die Aeneis des Vergil
Die letzten elf Jahre seines Lebens verbrachte Vergil mit der Abfassung der Aeneis, eines 29 v. Chr. von ihm begon-
nenen mythologischen und zugleich historischen Epos in zwölf Büchern. Er beschreibt darin die sieben Jahre wäh-
renden Fahrten und Abenteuer des Helden Aeneas vom Fall Trojas bis zu seinem Sieg über Turnus in Italien. Vergil
zufolge stammten die Römer in direkter Linie von Askanios ab, dem Gründer von Alba Longa, dem Ur-Rom. Im Stil
und Aufbau lehnt sich die Aeneis an die homerischen Epen Ilias und Odyssee an. In Teilen sind auch die Einflüsse der
Argonautiká des griechischen Dichters Apollonios von Rhodos aus dem 3. Jhdt. v. Chr. und der Annales des römi-
schen Dichters Quintus Ennius erkennbar.

In der Aeneis entwickelte Vergil den Hexameter in sprachlicher und technischer Hinsicht zur Perfektion, so daß sei-
nen Versen bis heute Vorbildcharakter zukommt. Als poetische Vorbilder Vergils sind die homerischen Epen zu nen-
nen. Ganz bewußt fordert Vergil den Vergleich mit ihnen heraus. Durch die Zahl der Bücher, durch die Übernahme
der Hauptthemen Kampf und Irrfahrten und Heimkehr des Helden in umgekehrter Reihenfolge, durch die Übernah-
me der zwei Handlungsebenen - göttliche und menschliche Ebene - und der epischen Darstellungsmittel wie Götter-
szenen und Proömium mit Musenanruf. Während Ilias und Odyssee je 24 Gesänge haben, umfasst die Aeneis zwölf;
das ist als Ausdruck der Bescheidenheit gegenüber Homer zu verstehen, der in der Antike als der größte Dichter galt.

Doch Vergil begnügt sich nicht mit bloßer Nachahmung - obwohl dies in der Antike nicht abwertend zu verstehen ist
- sondern ändert seinen Bezugstext, indem er den homerischen Themen einen neuen Aussagewert verleiht: Aeneas
                                                       21
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handelt nicht wie die homerischen Helden für sich selbst und für sein Heldentum, sondern im Götterauftrag für sein
Volk. Auch sind die vergilischen Götter in ihrem Handeln weniger frei als die homerischen: Sie alle, auch Jupiter, un-
terstehen dem Fatum, über dessen Durchführung er wacht. Der Gang der Geschichte ist für Vergil ein sinnvoller: Die
Mühen und Anstrengungen des Aeneas werden ihren Lohn finden, allerdings nicht mehr zu Lebzeiten des Helden,
sondern erst zur Zeit des Augustus, in der sich endlich die Friedensherrschaft erfüllen wird.

Inhalt
„Singen will ich von Kämpfen und von dem Mann
der zuerst von Trojas Gestade vom Schicksal verbannt
zu Laviniums Küste nach Italien kam
über Wasser und Lande verschlug ihn Göttergewalt
aus unversöhnlichem Groll der grimmen Juno
der viel auch im Kriege erlitt, bis die Stadt er geründet
Götter nach Latium brachte, woher das Latinergeschlecht ward
Albas Urväter auch und du, hochragende Roma.“ Vergil: Aeneis 1,1ff.

I Nach dem Proömium setzt das Geschehen unmittelbar mit einem von Juno erregten Seesturm ein, der die gerade
von Sizilien abfahrende trojanische Flotte zerstreut. Aeneas landet mit sieben Schiffen an der karthagischen Küste. In
einem Gespräch mit Venus verheißt Jupiter dem Volk des Aeneas die Weltherrschaft und das Friedensreich des Au-
gustus. Dido, die Königin von Karthago, verspricht den im Sturm von Aeneas Getrennten Hilfe und bald darauf wird
Aeneas mit seinen Gefährten gastlich aufgenommen. Cupido nimmt auf Venus´ Veranlassung in Gestalt von Ascanius
am Festmahl teil und lässt Dido in Liebe zu Aeneas entbrennen, den sie schließlich um die Erzählung
seiner Erlebnisse bittet.

II Aeneas beginnt seine Erzählung mit der Zerstörung Trojas: Von dem Priester Laokoon vergeblich gewarnt, von dem
Griechen Sinon betrogen, ziehen die Trojaner das hölzerne Pferd, in dem bewaffnete Griechen Verborgen sind, in die
Stadt; die Feinde verlassen dieses in der Nacht und der Kampf beginnt. Aeneas, im Traum durch den gefallenen Hek-
tor gewarnt, kämpft verzweifelt, muss aber schließlich die Ermordung des König Priamos mit ansehen. Aeneas flüch-
tet dann mit seinem Vater Anchises, seinem Sohn Ascanius und seiner Gattin Creusa ins Idagebirge, die er jedoch im
Verlauf der Reise verliert.

III Nach der Abfahrt versuchen die Trojaner zuerst Neuansiedlungen in Thrakien und Kreta, erhalten jedoch in Delos,
Kreta und auf den Strophaden Götterhinweise auf das eigentliche Fahrtziel Italien. In Buthrotum gibt ihnen der Seher
Helenus Ratschläge und Warnungen für die Weiterfahrt und nennt den Zielort. Die erste Landung in Italien erfolgt
beim Castrum Minervae. Während der Weiterfahrt um Sizilien kommen sie bei den am Fluss des Ätna hausenden
Kyklopen vorbei. Mit dem Tod des Anchises in Drepanum auf Sizilien endet die Erzählung des Aeneas.

IV Dido ist von der neuen Liebe überwältigt und Juno will mit Venus´ Zustimmung Aeneas in Karthago festhalten. Bei
einem Gewitter auf einer Jagd kommt es zur Liebesvereinigung. Das Liebesverhältnis währt den ganzen Winter über
und dann greift Jupiter ein und sendet durch Merkur Aeneas den Abfahrtsbefehl. Aeneas beschließt die Weiterfahrt
und Dido stellt ihn vergeblich zur Rede. Aus Verzweiflung lässt Dido im Palast einen Scheiterhaufen errichten, um
dort angeblich alle Erinnerungen an den Treulosen zu verbrennen - tatsächlich steht ihr Entschluss zum Selbstmord
bereits fest. Nachts fährt Aeneas ab und Dido flucht auf Aeneas und seine Nachkommen Unheil und Krieg herab,
danach stirbt sie in königlicher Würde.

V Die Trojaner landen nochmals in Drepanum, am Jahrestag von Anchises´ Tod. Die fahrtmüden Trojanerinnen ste-
cken die Schiffe in Brand, doch Jupiter rettet die Flotte durch einen Regenguss. Aeneas aber fasst erst nach einer
Erscheinung des Anchises neuen Mut.

VI Nach der Landung in Cumae erhält Aeneas von der dort wohnenden Seherin Sibylle den Auftrag, zuerst den Leich-
nam des inzwischen verstorbenen Trojaners Misenus zu bestatten und einen geheimnisvollen goldenen Zweig zu
pflücken, dann geleitet ihn die Seherin in die Unterwelt. Im Totenreich begegnet Aeneas Dido und heftet den golde-
nen Zweig an das Palasttor der Unterweltsgötter. Anchises belehrt ihn über die Wiedergeburt der unvollkommenen


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Seelen und zeigt ihm große Gestalten der künftigen römischen Geschichte (Römerschau), dann entlässt er Aeneas
und Sibylle an die Oberwelt.

VII Nach der Landung an der Tibermündung folgt die Erzählung von der freundlichen Aufnahme der Trojaner durch
den Landeskönig Latinus, der aufgrund von Vorzeichen Aeneas die Hand seiner Tochter Lavina verspricht, obwohl
seine Gattin Amata den Rutulerfürsten Turnus als Schwiegersohn bevorzugt. Auf Junos Befehl hetzt Amata, Turnus
und eine Schar latinischer Hirten gegen die Trojaner auf. Nach der Weigerung des Latinus gibt Juno selbst das Zei-
chen zum Kriegsbeginn.

VIII Aeneas fährt auf Befehl des Flussgottes Tiberinus stromaufwärts, um von dem aus Arkadien in Griechenland
stammenden und jetzt in Italien ansässigen König Euander Hilfe zu erbitten. Er wird von den Arkadern freundlich
aufgenommen. Nachts schmiedet Vulcanus auf Bitten der Venus neue Waffen für Aeneas. Am nächsten Morgen
erhält Aeneas 400 Reiter unter der Führung von Euanders Sohn Pallas. Venus übergibt ihm die neue Rüstung, wobei
der Schild mit Darstellungen der römischen Geschichte genau beschrieben wird.

IX Während der Abwesenheit des Aeneas werden die Trojaner, die sich im Lager aufhalten, von den Italikern be-
drängt. Turnus eröffnet, von Iris im Auftrag Junos aufgehetzt, den Kampf und steckt die Schiffe in Brand, die jedoch
von der Göttermutter Kybele in Nymphen verwandelt werden. Am nächsten Morgen gelingt einigen Feinden unter
der Führung des Turnus der Durchbruch ins Lager, jedoch werden sie von den tapfer kämpfenden Trojanern zurück-
gedrängt und Turnus kann sich am Ende nur durch einen Sprung in den Tiber retten.

X In einer Götterversammlung verbietet Jupiter den Göttern, vor allem Juno, in das Geschehen des folgenden
Schlachttages helfend einzugreifen. Aeneas erscheinen auf der Rückfahrt seine in Nymphen verwandelten Schiffe
und unterrichten ihn von der Notlage der Trojaner. Nach einer raschen Landung gelingt es Aeneas, das Lager zu be-
freien, doch der junge Pallas wird von Turnus im Zweikampf getötet.

XI Während eines zwölftägigen Waffenstillstandes werden die Toten bestattet. Aeneas sendet einen Trauerzug mit
der Leiche des Pallas zu Euander. In einem Kriegsrat der Latiner, in dem Latinus zum Frieden rät, erklärt sich schließ-
lich Turnus zu einem Zweikampf mit Aeneas bereit, als das Heranrücken des trojanischen Heeres die Hoffnung auf
Beendigung des Krieges zerstört.

XII Mit der Einwilligung des Turnus zu dem Zweikampf beginnen die Friedensvorbereitungen. Der zwischen Aeneas
und Latinus geschlossene Vertrag wird jedoch von den Rutulern, die Juturna, die Schwester des Turnus, im Auftrag
Junos aufhetzt, sofort wieder gebrochen. Es kommt zum allgemeinen Kampf, in dem Juturna Turnus in Gestalt von
dessen Wagenlenker ständig den Blicken des Aeneas entzieht. Dadurch, daß Aeneas die bis jetzt verschonte Stadt
des Latinus angreift, zwingt er Turnus sich doch zum Zweikampf zu stellen. Nach einem Versöhnungsgespräch zwi-
schen Jupiter und Juno, welches die Voraussetzung für die Beendigung des Krieges bildet, tötet Aeneas
Turnus im Zweikampf.

Vergleich Aeneis – Ilias – Odyssee
Dass Homer und seine beiden berühmten Epen Ilias und Odyssee das große Vorbild Vergils waren, ist unübersehbar.
Der erste Teil der Aeneis, die Gesänge 1 bis 6, sind die sogenannte "römische Odyssee", der zweite (6.-12.) die "rö-
mische Ilias". Bis ins kleinste Detail hat Vergil homerische Muster übernommen:

Aeneas strandet nahe Karthago – Odysseus ist dies öfters passiert (ebenfalls Menelaos; der Flotte der Achäer ist es
teilweise gar noch schlimmer ergangen)

Aeneas erzählt Dido von seinen vorausgegangenen Irrfahrten als eine Art Rückblick für den Leser/Zuhörer – in
der Odyssee hat Odysseus dasselbe getan, für den Phaikaenkönig Alkinoos [ab Hom.Od.9].Ab der Umschiffung des
Peloponnes wandelt Aeneas praktisch auf den Spuren Odysseus’: Kyklopen, Sirenen, Skylla & Charybdis, Insel der
Kirke.

Aeneas und Dido verlieben sich ineinander, erst die Götter beenden die "Festhaltung" des Aeneas durch die Königin.
– Dies ist praktisch der Anfang der Odyssee: Odysseus wird lange Jahre von der Nymphe Kalypso auf deren Insel
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091204 Vhs Literaturgeschichte I Antike

  • 1. vhs Karlsruhe: vhs Kolleg Allgemeinbildung, Semester IV: Meilensteine der Literaturgeschichte I: Die Anfänge der Literatur; Griechische und Römische Antike Joerg Hartmann und Swenja Zaremba
  • 2. vhs-Kolleg Allgemeinbildung, Semester IV: Meilensteine der klassischen und modernen Literatur Inhalt Inhalt ................................................................................................................................................................................. 2 1. Kontext: Die Antike ................................................................................................................................................... 3 2. Das Gilgamesh-Epos .................................................................................................................................................. 3 3. Die Epen des Homer.................................................................................................................................................. 6 4. Die Ilias: Das Lied vom Zorn ...................................................................................................................................... 7 5. Die Odyssee oder: die lange Heimfahrt nach Ithaka .............................................................................................. 10 6. Das Theater im antiken Griechenland .................................................................................................................... 13 7. Oedipus Rex ............................................................................................................................................................ 13 8. Die Komödie ............................................................................................................................................................ 17 9. Sappho und ihre Lyrik ............................................................................................................................................. 17 10. Die Fabeln des Aesop .......................................................................................................................................... 19 11. Rom und die lateinische Literatur ....................................................................................................................... 21 12. Die Aeneis des Vergil........................................................................................................................................... 21 13. Ovids Metamorphosen ....................................................................................................................................... 25 2
  • 3. vhs-Kolleg Allgemeinbildung, Semester IV: Meilensteine der klassischen und modernen Literatur 1. Kontext: Die Antike Der Begriff Antike (von lat. antiquus, alt, altertümlich) bezeichnet die Epoche des Altertums im Mittelmeerraum. Im weiteren Sinne, der in diesem Kurs angewandt werden soll, bezieht die Antike auch die Geschichte der altorientali- schen, nahöstlichen Hochkulturen Ägyptens, Mesopotamiens, Syriens, Persiens und Kleinasiens mit ein, die etwa mit dem Beginn der Schriftlichkeit um 3500 v. Chr. einsetzt. So umfasst diese Epoche die Zeit des archaischen und klassi- schen Griechenlands, des Hellenismus und des Römischen Reichs bis zum Ende des weströmischen Reichs im Jahr 476 bzw. bis zum Tod des oströmischen Kaisers Justinian I. 565. Fast alle Ideen der modernen Aufklärung haben anti- ke Vorläufer. Ohne griechische Wissenschaft und Philosophie, ohne das römische Recht und ohne Architektur und Kunst von Griechen und Römern - und ohne deren Literatur- ist die westliche Zivilisation nicht denkbar. Insofern ist die Kenntnis der Literatur dieser Epoche für ein Verständnis unserer heutigen Kultur von immensem Wert. ‚Schrift‘: eine Erfindung aus dem Zweistromland Die Erfindung der Schrift gehört zu den entscheidenden Wendepunkten innerhalb der kulturellen Entwicklung der Menschheit. Die Schrift entstand zwischen Mitte und Ende des 4. Jtsd. v.Chr. im Vorderen Orient mit der Keilschrift der Sumerer (3500 v.Chr.) und den Hieroglyphen der Ägypter (3000 v.Chr.) sowie im Fernen Osten mit den Ideog- rammen der Chinesen - Chinesische Schrift (2500 v.Chr.) Mit der Entwicklung der Keilschrift, der ältesten Schrift der Menschheit, ihrer Monumentalarchitektur, eines geordneten Staatswesens und der ersten Aufzeichnung wirtschaft- licher und verwaltungsmäßiger Vorgänge legten die Sumerer, die im Zweistromland (gr. Mesopotamien) zwischen Euphrat und Tigris lebten, die wesentlichen Grundlagen für die nachfolgenden Kulturen. Die Ursprünglich entsprach ein Zeichen einem Wort. Da Wörter, die nicht unmittelbar abgebildet werden konnten, durch Piktogramme von im weitesten Sinne verwandten Objekten ausgedrückt wurden (z. B. Gott durch einen Stern, stehen und gehen durch einen Fuß), standen einige Zeichen für mehrere Worte. Die meisten sumerischen Worte waren einsilbig, daher entsprachen die Zeichen – unabhängig von ihrer ursprünglichen Bedeutung – bald nur noch einzelnen Silben. Die voll entwickelte Keilschrift verfügte über mehr als 600 Zeichen. Mittels einer Art Griffel wurden keilförmige, nach rechts oder unten spitz zulaufende Zeichen in Tafeln aus Ton gedrückt, die anschließend getrock- net oder gebrannt wurden. Die Keilschrift der Sumerer wurde Zeile für Zeile abwechselnd von rechts nach links und von links nach rechts geschrieben. Mit der Zeit wurden diese Zeichen immer abstrakter, die ursprünglich abbilden- den Zeichen wurden zu reinen Symbolen, die nur noch auf bestimmte Silben verwiesen. 2. Das Gilgamesh-Epos Das Gilgamesch-Epos ist die bedeutendste literarische Schöpfung des Zweistromlandes und das erste niedergeschriebene literarische Werk der Menschheit überhaupt. "Niederge- schrieben" bedeutet hier mittels einer Art Griffel wurden keilförmige, nach rechts oder un- ten spitz zulaufende Zeichen in Tafeln aus Ton gedrückt. Das Epos selbst dürfte aus einer Reihe ursprünglich nicht zusammenhängender Einzelsagen entstanden sein. Der uns na- mentlich bekannte Schreiber oder Dichter schuf daraus vermutlich im 12. Jh. V. Chr. das Werk, das wir als Gilgamesch-Epos bezeichnen. Der größte Teil des noch erhaltenen Werkes stammt aus der großen Tontafelbibliothek des Assyrerkönigs Assurbanipal aus Ninive. Das eigentliche Epos ist auf zwölf Keilschrift-Tontafeln aufgezeichnet. Da die Tafeln als Bruchstü- cke gefunden wurden, ist der Text nicht vollständig erhalten. 3
  • 4. vhs-Kolleg Allgemeinbildung, Semester IV: Meilensteine der klassischen und modernen Literatur Inhalt des Epos Es wird von König Gilgamesh berichtet, Gilgamesh war ein sagenhafter König um 2750 - 2600 v. Chr. Er soll zu zwei Drittel Gott, zu einem Drittel Mensch gewesen sein. Er herrschte über den sumerischen Stadtstaat Uruk (als Erech in der Bibel bekannt, heute die Ruinenstätte Warka im Irak) und muss einer der mächtigsten Herrscher dieser Zeit ge- wesen sein. Das zentrale Thema des ältesten literarischen Werkes der Weltliteratur hat bis heute nichts an seiner tragischen Aktualität verloren: die Angst vor dem Tod und die Auflehnung gegen die Sinnlosigkeit des Sterbens. Gil- gameshs Suche nach dem Leben nimmt dabei verschiedene Gestalten an. Der König von Uruk und Enkidu Zu Beginn ist Gilgamesch ein Tyrann – das Klagen seiner Untertanen dringt bis zu den Göttern, worauf die Mutter- göttin Aruru den zu zwei Dritteln tierischen Enkidu als Gegenstück erschafft. Gilgamesch erfährt durch einen Fallen- steller von dem unter Tieren lebenden friedlichen Hünen. Er schickt Schamchat, eine Dienerin der Liebesgöttin Ischtar, mit dem Auftrag ihn zu verführen. Enkidu erliegt deren Reizen. Danach fliehen die Tiere ihn, er beginnt die menschliche Sprache zu verstehen und begleitet Schamchat in die Stadt. Dort kommt es zum Kampf zwischen den Helden. Enkidu unterliegt und erkennt die Einzigartigkeit von Gilgamesch an. Die beiden werden Freunde – und Frie- den kehrt in Uruk ein. Gilgamesch und Enkidu töten Humwawa Eines Tages jedoch will Gilgamesch in den Zedernwald ziehen und dessen monströsen Hüter Humwawa töten. Enki- du erinnert ihn daran, dass der Gott Enlil selbst Humwawa zum Schutz des Waldes geschickt hat. Er beschwört die Gefahren der Reise und die Stärke des Unholds, doch weder er noch die Weisen der Stadt können den König zurück- halten – diesen lockt der unsterbliche Ruhm. Gilgamesch lässt für sich und Enkidu mächtige Waffen fertigen, dann brechen sie auf. Die Reise dauert viele Tage und Gilgamesch wird nachts von unheilvollen Träumen heimgesucht. Bei der Höhle Humwawas angelangt droht der sie zu bezwingen, nur mithilfe des Sonnengottes Schamasch überwältigen sie ihn. Das Ungeheuer bittet um Gnade: Gilgamesch zögert, doch Enkidu überredet ihn Humwawa zu töten. Die Liebesgöttin Ischtar und der Tod des Enkidu Heimgekehrt will die Liebes- und Kriegsgöttin Ischtar Gilgamesch zu ihrem Geliebten machen. Der weist sie zurück: die Göttin schadete bisher all ihren Liebhabern im Nachhinein. Wutentbrannt eilt Ischtar zu Göttervater Anu, der ihr den Himmelsstier leiht. Doch die beiden Helden erlegen diesen und beleidigen die Göttin obendrein. Wie schon bei Humwawa zeigt Enkidu einen verhängnisvollen Hang zum Übermut, der nicht ungestraft bleiben soll – nach zwei Sterbeträumen erkrankt er schwer und stirbt. Gilgamesch reagiert erst ungläubig, dann mit tiefem Schmerz und Ver- zweiflung. Im Innersten erschüttert lässt er die Stadt hinter sich und geht in die Wildnis. Der Tod des geliebten Enki- du hat den Krieger auf eine neue Weise mit dem Sterben konfrontiert – Todesfurcht quält ihn fortan. Gilgameshs Suche nach Utnapischtim Er macht sich auf die Suche nach dem unsterblichen Utnapischtim und gelangt zu zwei Bergen, von denen ein Tunnel fortführt, den die Sonne bei ihrem Untergang beschreitet. Zwei bewachende Skorpionmenschen warnen den Su- chenden: er muss das andere Ende vor Sonnenuntergang erreichen, sonst wird ihn die Kraft der Sonne verbrennen. Es gelingt ihm und er trifft auf die Tavernenwirtin Siduri, der er sein Leid klagt. Sie schickt ihn zu Utnapischtims Fährmann Urschanabi. Gilgamesch zerstört sinnlos die aus steinernen Männern bestehende Besatzung des Bootes, doch Urschanabi verzeiht ihm und sie überqueren mithilfe von 300 Stangen die Wasser des Todes. Utnapischtim erzählt Gilgamesch auf die Frage nach seiner Unsterblichkeit von der großen Flut – ein Vorgänger der biblischen Ge- schichte der Arche Noah. Utnapischtim belauschte damals den von fünf Göttern gefassten Plan und ließ ein Schiff bauen. Nach der Flut erhoben die Götter ihn und seine Frau zu Ihresgleichen. Die Wurzel der Jugend und Heimkehr nach Uruk Spöttisch stellt er Gilgamesch eine Prüfung: er soll sieben Tage den Schlaf bezwingen, dann könne er vielleicht auch den Tod bezwingen. Gilgamesch scheitert kläglich. Utnapischtim will ihn fortschicken, doch hat seine Frau Mitleid mit dem Weitgereisten. Und so teilt der Alte ihm ein Mysterium der Götter mit: In den Wassern der großen Tiefe wüchse ein dorniger Busch, der Jugend verleihe. Gilgamesch gräbt die Wurzel aus und will sie nach Uruk bringen, doch unterwegs macht sich eine Schlange damit davon. Seine Reise endet dort, wo sie begann – er muss einsehen, dass er keine Unsterblichkeit erlangen kann, die Vergeblichkeit seines Unterfangens und seine Grenzen akzeptieren. 4
  • 5. vhs-Kolleg Allgemeinbildung, Semester IV: Meilensteine der klassischen und modernen Literatur Deutung Im ersten Teil versucht Gilgamesch, das Leben durch Heldentaten zu erringen, d.h. sich einen Namen zu machen, der unsterblich sein wird. Im zweiten Teil des Epos geht es dann nicht um Abenteuer um des Nachruhmes willen, son- dern um das „nackte Leben“, das physische Weiterleben des Helden. Der Held sucht nach einem Weg, um die Grenze des Todes zu überwinden. Im Unterschied zum ersten Teil des Epos ist er völlig alleine unterwegs. Denn sein Freund Enkidu ist nicht mehr am Leben. Das Sterben Enkidus, das in der 7. Tafel packend geschildert wird und Gilgamesch selbst im Licht eines zumindest nicht Unschuldigen zeichnet (Enkidu muss stellvertretend für Gilgamesch sterben; und Gilgamesch hat dem Freund, der ihm geholfen hat, selbst nicht geholfen), stellt die Zäsur zwischen den beiden Teilen dar. Der Tod des Freundes führt zur Auseinandersetzung mit dem Tod überhaupt, zunächst mit dem Tod des Freundes, den Gilgamesch noch ins Leben zurückzuholen versucht, dann zur Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod. Ein dramatischer Wende- punkt. Die Suche nach dem Leben führt den einsamen Gilgamesch, ohne Herrscher-Attribute und völlig verwahrlost, durch die Zwillingsgebirge zum Ende der Welt, wo ihm die göttliche Schankwirtin Šī-dūrī den Rat erteilt, das Leben zu ge- nießen, so lange es eben währe. Doch Gilgamesch drängt es weiter, er will zu dem Menschen, der die Sintflut über- lebt hat und dann von den Göttern unsterblich gemacht wurde; dessen Geheimnis will er erfahren und so selbst un- sterblich werden. Durch die Todeswasser gelangt er zu Utnapischtim, der ihm die Geschichte der Sintflut erzählt. Doch wie soll Gilgamesch, dessen Los doch so ganz anders ist, den Tod überwinden können? Nicht einmal den „Schlaftest“, nämlich 7 Tage und Nächte wach zu bleiben, besteht er. Zuletzt kann er aber ein Ver- jüngungskraut aus den Tiefen des Meeres gewinnen, das er aber auf dem Weg zurück zu seiner Stadt Uruk verliert: Eine Schlange frisst es und häutet sich sofort, Zeichen ihrer Erneuerung. Das Epos lässt seinen Helden zuletzt auf die Stadtmauer verweisen: Sie soll für alle Zeiten an Gilgamesch und seine großen Taten erinnern. Und damit schließt sich ein Kreis, denn mit der Einladung, die Stadtmauer zu bewundern und von Gilgameshs Taten zu lesen, hatte das Epos eingesetzt. Die Weisheit, welche Gilgamesch erlangt hat, richtet sich somit an alle Menschen, die diesen Text lesen und bedenken. Führt der erste Teil des Epos den Prototyp des erfolgreichen, kriegerischen Helden und Herrschers vor Augen, so zeichnet der zweite Teil eher den Prototyp eines weisheitlichen Heros, der die Grenzen zwischen Menschen und Göttern austestet; diese Grenzen scheinen für die altorientalische Antike nicht kategorisch, sondern an manchen Stellen durchlässig, verhandelbar, überspringbar. Das zeigt schon die Aussage des Epos, dass Gilgamesch zu zwei Dritteln Gott sei, geerbt von seiner göttlichen Mutter Ninsun, und nur zu einem Drittel Mensch. Wenngleich Gilga- mesch mit seinem Anliegen scheitert, hat er doch durch seinen Grenzgang Wissen erlangt, welches das Wissen nor- mal Sterblicher bei weitem übersteigt. Er ist zu einem herausragenden Weisen geworden, der Kunde gebracht hat von vielen für die Menschen, ihr Leben und ihre Kultur wichtigen Dingen und bedeutendem Wissen. Form Das Gesamtwerk der 11 Tafeln ist von einem formalen und semantischen Rahmen umgeben: Anfang und Ende des Werkes fordern dazu auf, die gewaltige Mauer und die von ihr umschlossene Stadt zu bewundern, die Gilgamesch hat erbauen lassen. Man kann in diesem formalen Kunstgriff unschwer dichtungstheoretische Konnotationen erken- nen. Die Aufforderung, die Stadtmauer und die von ihr umschlossene Stadt zu bewundern, umschließt das Werk als Rahmen. Dieser Rahmen fungiert selbst wie eine Mauer. Dann aber ist die innerhalb der Mauer, d.h. des Rahmens, liegende „Stadt“ in konnotativer Übertragung nichts anderes, als das Werk selbst, das Epos von Gilgamesch! Dezent versteckt bedeutet dies, dass der oder die Dichter des Werkes selbst eine Art Anspruch anmelden, wie sie ihn dem Helden Gilgamesch in den Mund legen, den Anspruch, ein Werk zu schaffen, das höchste Bewunderung verdient. Und das die Zeitläufe überdauern soll. Einfluss auf spätere Werke der Weltliteratur Der Einfluss der Erzählung auf spätere Werke der Weltliteratur wie die Ilias, Odyssee, die Bibel oder Tausend und eine Nacht ist unübersehbar. Ein prominentes Beispiel hierfür bildet die Sintfluterzählung, wie sie sowohl bei Gilga- mesh, als auch in der Bibel gefunden wird: 5
  • 6. vhs-Kolleg Allgemeinbildung, Semester IV: Meilensteine der klassischen und modernen Literatur Gilgamesch-Epos XI, 145-162 (1200 v. Chr.) Bibel, Gen 8,4.6-12.20 (1000 v. Chr.) Einen dritten Tag, einen vierten Tag hielt Nimusch, der Und im siebten Monat, am siebzehnten Tag des Monats, Berg, das Schiff fest und ließ es dann nicht mehr wan- ließ sich die Arche auf dem Gebirge Ararat nieder ... ken. Doch als der siebente Tag anbrach, holte ich eine Tau- Und es geschah am Ende von vierzig Tagen, da öffnete be hervor und ließ sie frei. Die Taube flog, doch kam sie Noah das Fenster der Arche, das er gemacht hatte, und zurück, denn kein Flecken zu rasten erschien ihr, so ließ den Raben hinaus; und der flog aus, hin und her, bis kehrte sie um. das Wasser von der Erde vertrocknet war. Ich holte eine Schwalbe hervor und ließ sie frei. Die Und er ließ die Taube von sich hinaus, um zu sehen, ob Schwalbe flog, doch kam sie zurück, denn kein Flecken die Wasser weniger geworden seien auf der Fläche des zu rasten erschien ihr, so kehrte sie um. Erdbodens; aber die Taube fand keinen Ruheplatz für ihren Fuß und kehrte zu ihm in die Arche zurück; Ich holte einen Raben hervor und ließ ihn frei. Der Ra- Und er wartete noch sieben weitere Tage, dann ließ er be flog. Als er aber sah, wie sich das Wasser verzog, da die Taube noch einmal aus der Arche; und die Taube begann er zu fressen, zu scharren und hüpfen und kam kam um die Abendzeit zu ihm zurück, und siehe, ein nicht wieder zurück. frisches Olivenblatt war in ihrem Schnabel. Da erkannte Noah, dass die Wasser auf der Erde weniger geworden waren. Da aber holte ich ein Opfertier hervor, den vier Winden Und Noah baute JHWH einen Altar; und er nahm von brachte ich es dar. Ihnen zu Füßen schüttete ich Rohr, allem reinen Vieh und von allen reinen Vögeln und op- Zeder und Myrte hin. Die Götter rochen den Duft, die ferte Brandopfer auf dem Altar. Und JHWH roch den Götter rochen den süßen Duft, ... wohlgefälligen Geruch ... Abschließend sei Rainer Maria Rilke zitiert, der von der Lektüre des Gilgamesh Epos ganz gefesselt, 1916 in einem Brief an Helene von Nostiz schrieb: "Ich habe mich mit der genauen gelehrten Übersetzung eingelassen und an die- sen wahrhaft gigantischen Bruchstücken Maaße und Gestalt erlebt, die zu dem Größten gehören, was das zaubernde Wort zu irgendeiner Zeit gegeben hat. [...] Hier ist das Epos der Todes-furcht, entstanden im Unvordenklichen unter Menschen, bei denen zuerst die Trennung von Tod und Leben definitiv und verhängnisvoll geworden war. Ich lebe seit Wochen fast ganz in diesem Eindruck." Literatur Maul, Stefan: Das Gilgamesch-Epos. München 2005. 3. Die Epen des Homer Die Entstehung des griechischen Alphabets Die Phönizier waren ein seefahrendes Handelsvolk im Küstengebiet Syriens. Einen besonders regen Gütertausch hatten sie mit Ägypten. Beeinflusst von den ägyptischen Hieroglyphen, erfanden sie zwischen 2000 und 1500 v. Chr. ein bahnbrechendes Buchstabensystem: das erste Alphabet. Es bestand aus 22 Mitlauten (Konsonanten). Aus der phönikischen Schrift entwickelten sich die europäischen Schriftsysteme. Das Wort Alphabet setzt sich aus den ersten beiden Buchstaben des griechischen Alphabets zusammen: Alpha und Bet. In der Zeit zwischen 1200 bis 700 v. Chr. entstand die griechische Schrift. Die Griechen leiteten sie von jener der Phöniker ab. Sie vollzogen aber auch den letzten wirklich bedeutenden Schritt in der Entwicklung der Schrift: Mit der Erfindung von Vokalen schufen sie das erste vollständige Alphabet der Weltgeschichte. Es hatte 24 Buchstaben. Aus der griechischen Schrift ging dann die etruskische und später die lateinische hervor, die wir heute noch verwenden. Auf dem griechischen Festland (Pelo- ponnes) entwickelte sich unter minoischem Einfluss eine eigene Hochkultur, bekannt als Mykenische Kultur (ca.1800-1700). Der wichtigste Fundort aus dieser Zeit ist die Burg Mykene. Personen und Ereignisse dieser Epoche sind aber überliefert in den Darstellungen der homerischen Mythen Ilias und Odyssee. Anders als aus der minoischen bzw. der mykenischen Zeit sind aus den Jahren zwischen 1200 und etwa 800 keine schriftlichen Zeugnisse überlie- fert. Wahrscheinlich waren es Völkerwanderungen, die zum Zusammenbruch der minoischen und mykenischen Hochkulturen geführt haben. Ab 800 begann sich die für das griechische Festland typische Gesellschaftsform der Polis – im Deutschen oft als ‚Stadtstaat‘ wiedergegeben - zu entwickeln. 6
  • 7. vhs-Kolleg Allgemeinbildung, Semester IV: Meilensteine der klassischen und modernen Literatur Mythos Homer Er gilt als der erste Dichter des Abendlandes: Homer. Der griechische Dichter lebte im 8. Jahrhun- dert v. Chr. im ionischen Kleinasien. In der Philologie lange als fiktive Persönlichkeit angesehen, gilt er heute wieder als historische Person, deren Bild durch die Legende mit den Zügen des wandern- den Rhapsoden ausgestattet wurde. Über ihn persönlich weiß man fast nichts, und das fördert bekanntlich die Mythenbildung. Wissen- schaftler streiten nicht nur über den Namen des Dichters. Homer könne ursprünglich auch Melesi- genes geheißen haben, sagen einige, da er möglicherweise am Fluss Meles zur Welt kam. Homer soll blind auf die Welt gekommen sein - auch diese Legende lässt sich nicht belegen. Dass Homer das Leben am Hofe kannte, weil er adlig war, kann jedoch als einigermaßen gesichert angesehen werden. Seine Epen "Ilias" und "Odyssee" bilden das Fundament unserer abendländischen Erzählkunst. Vermutlich sind sie im 8. Jahrhundert vor Christus entstanden - ob sie alle beide auf Homer zurückgehen, ist genauso umstritten wie der Entstehungszeitraum. 4. Die Ilias: Das Lied vom Zorn Die Ilias (abgeleitet von dem griechischen Namen für die Stadt Troja: Ilion) gilt als das ältere Werk. Homers Ilias stellt die um 800 vor unserer Zeitrechnung entstandene Ausarbeitung eines Sagenstoffes dar, der einmal auf Zypern kur- sierte und auf die in der Bronzezeit belegten Auseinandersetzungen zwischen Achaiern und Hethitern im Westen Kleinasiens zurückzugehen scheint. Seine 'Geschichte von Ilios' führt die – leider nur mehr in Inhaltsangaben und Zitaten erhaltenen – zypriotischen Erzählungen weiter, in denen die Vorgeschichte des trojanischen Krieges ausgeb- reitet wurde. Das Wissen um diese ‚Kypria‘ voraussetzend und sich mit kurzen Anspielungen darauf begnügend, knüpft Homer an einzelne Kettenfäden ihres bunten Stoffstreifens an, um in seinem Erzählteppich dann neue Episo- den einzuweben. Vorgeschichte des trojanischen Krieges: Das Urteil des Paris Weil Eris, die Göttin der Zwietracht, nicht zur Hochzeit von Peleus und Thetis eingeladen worden war, warf sie einen Apfel unter die Gäste, welcher der schönsten Göttin gehören sollte. Um den Streit unter den Göttinnen Hera, Athene und Aphrodite zu schlichten, befahl Zeus dem trojanischen Prinzen Paris, ein Urteil zu fällen. Paris ließ sich von Aphrodite über- zeugen, die ihm die schönste Frau versprach, und überreichte ihr den Siegespreis. Hera und Athene jedoch wandten sich zornig ab und schworen Paris und seiner Heimat Troja Rache. Der trojanische Krieg: Paris raubt Helena Aphrodite begleitete Paris auf seiner Reise nach Sparta, wo er Helena, die schöne Gattin des Königs Menelaos, ken- nenlernte und sich in sie verliebte. Er nutzte die Abwesenheit seines Gastgebers aus und entführte Helena auf sei- nem Schiff nach Troja. Nach einer anderen Tradition soll Helena ihm freiwillig gefolgt sein. Menelaos wollte seine geraubte Frau um jeden Preis wieder zurückhaben und sammelte die größten Helden Griechenlands um sich: Odys- seus, Aias, Achilles, Nestor, Diomedes und viele andere folgten ihm. Zum Anführer der Griechen wurde Agamemnon, Menelaos' Bruder, gewählt. Inhalt Der Rahmen der Ilias umspannt in knapp 1600 Versen mehr als tausend Orte, Personen, Stämme und Gottheiten. Die Erzählung spielt im letzten Jahr des Trojanischen Krieges, das Leitmotiv der Ilias ist dabei der Zorn, der innerhalb ihres nur 51-tägigen Handlungsverlaufs immer weitere Kreise zieht und dabei Heroen wie Götter als unentrinnbares Schicksal ereilt. Den Anfang setzen die Entehrung des Gottes Apollon durch den Raub der Chryseïs und seine Rache an den Achaiern. Als deren Oberbefehlshaber Agamemnon für die schließlich dem Vater und Apollon-Priester zurückgegebene Toch- ter Ersatz fordert, gerät er darum mit Achilleus in Streit, der sich in der Folge ebenfalls entehrt sieht und aus den Kämpfen zurückzieht. Der „Zorn des Achilleus“ wird zur Klammer des Epos, Die griechische Streitmacht erleidet dar- aufhin im Kampf gegen die Bewohner von Troja schwere Niederlagen. Achilleus zeigt sich unversöhnlich, lässt jedoch zu, dass sein Gefährte Patroklos an seiner Stelle die Truppen anführt. Als dieser im Kampf fällt, richtet sich der Zorn des Achilleus gegen die Trojaner, deren Heerführer Hektor, ein Sohn des Königs Priamos, er im Zweikampf tötet. 7
  • 8. vhs-Kolleg Allgemeinbildung, Semester IV: Meilensteine der klassischen und modernen Literatur Patroklos wird bestattet und es werden Wettkämpfe zu seinen Ehren unter den Griechen veranstaltet. Dabei beharrt ein Krieger – Antilochos – vor Achilleus auf seiner ihm vermeintlich zustehenden Trophäe, auf ähnliche Weise wie Achilleus anfangs vor Agamemnon; der Konflikt wird diesmal jedoch freundschaftlich bereinigt. Es ist dies nicht nur der Punkt, an dem sich die Ringform des Epos schließt; die Fabel erhält auch den Gehalt einer Parabel über ein mögliches Ethos unter den Griechen. Ausgeweitet wird dieser Aspekt schließlich im 24. Buch, als Hektors Vater Priamos Achilleus überreden kann, ihm den Leichnam seines Sohnes zu übergeben; es deutet sich gar eine Versöhnung zwischen den feindlichen Parteien an – doch der Krieg geht nach Hektors Begräbnis weiter. Die Haupthandlung wird von zahlreichen Nebenepisoden unterbrochen, die die verschiedensten von Göttern ab- stammenden Helden im Zweikampf zeigen, und auch die Götter selbst mischen sich in der unterschiedlichsten Form in die Kampfeshandlungen ein. Was sich sonst noch an berühmten Motiven rund um den trojanischen Krieg zitieren läßt, findet sich in anderen Epen des trojanischen Sagenstoffes: das Parisurteil wird bereits von den Kypria geschil- dert, Achilleus' verwundbare Ferse ist ein Motiv aus der Aithiopis und vom trojanischen Pferd und dem Fall Ilios' berichtet die Odyssee. Die Ilias, der trojanische Krieg und die Priestertochter Briseïs Die Trojaner hatten sich vorsorglich in ihrer Stadt verschanzt und wehrten die Belagerung durch die Griechen wäh- rend zehn Jahren erfolgreich ab. In dieser Zeit unternahmen die Griechen viele Kriegszüge in der Umgebung von Troja, von denen sie Beute und Sklaven mitbrachten. Die Lieblingssklavin von Achilles war Briseïs. Weil aber Aga- memnon seine Sklavin auf Befehl des Gottes Apollo zurückgeben musste, verlangte er als Ersatz für sich Briseïs. Nur mit großem Zorn leistete Achilles dieser Anweisung Folge und wollte in Zukunft dem Kampf zwischen Griechen und Trojanern fernbleiben. Er bat darüber hinaus seine Mutter, die Göttin Thetis, den Griechen eine schwere Niederlage zu bereiten. Zweikampf zwischen Menelaos und Paris Inzwischen beschlossen die Griechen und die Trojaner, die durch den jahrelangen Krieg müde geworden waren, dass Menelaos und Paris im Zweikampf entscheiden sollten, wem Helena gehört. Paris war Menelaos unterlegen und wäre auf dem Kampfplatz gestorben, wenn ihn nicht die Göttin Aphrodite im letzten Augenblick nach Troja entrückt hätte. Die Griechen sahen in Menelaos den klaren Sieger und forderten die Herausgabe von Helena, doch einer der Trojaner schoss einen Pfeil auf Menelaos und verletzte diesen. Damit war der Vertrag gebrochen und der Kampf begann von Neuem. Patroklos Erbittert kämpften Griechen und Trojaner gegeneinander, doch schienen sich die Götter gegen die Griechen ver- schworen zu haben: Ein Held nach dem anderen wurde verwundet und musste das Schlachtfeld verlassen. Bis zu den Schiffen drangen die Trojaner vor und versuchten sogar, diese in Brand zu setzen. In dieser Situation schickte Aga- memnon verzweifelt Gesandte zu Achilles, welche diesen davon überzeugen sollten, wieder in den Kampf einzugrei- fen. Achilles war aber immer noch zornig, ließ aber seinen Freund Patroklos mit seinen eigenen Waffen und mit sei- nen Männern ziehen. Die neuen Kräfte brachten die Trojaner zum Wanken und bald setzte eine wilde Flucht ein. Patroklos hätte sogar beinahe Troja selbst erobert, wäre ihm nicht Hektor in den Weg getreten. Zwischen den beiden entbrannte ein heftiger Zweikampf, aus dem Hektor siegreich hervorging. Neue Waffen für Achilles Hektor raubte die wunderbaren Waffen des Achilles, welche Patroklos trug, und brachte sie als Beute nach Troja zurück. Bestürzt über den Verlust seines Freundes drohte Achilles Hektor sogleich mit Vergeltung und willigte ein, wieder auf der Seite der Griechen zu kämpfen. Als Dank für seinen Gesinnungswandel schickte ihm Agamemnon die Briseïs zurück. Zunächst ließ Achilles sich aber von seiner Mutter Thetis neue Waffen beim Gott der Schmiede, He- phaistos, herstellen. Hektor und Andromache In der Stadt Troja verabschiedete sich inzwischen Hektor von seiner Gattin Andromache und seinem jungen Sohn Astyanax. Als dieser den Helmbusch seines Vaters sah, erschrak er und begann sogleich zu weinen. Hektor erkannte den Grund für das Weinen, zog seinen Helm aus und konnte so von seinem Sohn und seiner Frau Abschied nehmen - er ahnte wohl, dass er beide nie mehr wiedersehen würde. 8
  • 9. vhs-Kolleg Allgemeinbildung, Semester IV: Meilensteine der klassischen und modernen Literatur Zweikampf zwischen Hektor und Achilles Ausgestattet mit den neuen Waffen drängte Achilles in die Schlacht und versuchte, an Hektor heranzukommen. Durch sein Schwert fielen unzählige Trojaner, und der Fluss Skamander färbte sich rot um Blut der getöteten Feinde. Endlich standen sich Hektor und Achilles gegenüber, und Hektor verlor beim Anblick des griechischen Helden allen Mut. Dreimal jagte ihn Achilles um die Stadt, bis er ihn schließlich doch noch stellen konnte. In kurzem und heftigem Kampf besiegte er Hektor und nahm damit Rache für Patroklos. Achilles schleift Hektor mit dem Wagen Achilles hatte den Tod seines Freundes aber noch nicht überwunden. Nachdem er dem toten Hektor die Rüstung ausgezogen hatte, band er die Leiche an seinen Streitwagen und schleifte sie über den Boden zu den Schiffen der Griechen. Verzweifelt sahen die Trojaner ihm dabei zu. Andromache jedoch, die zunächst noch nichts vom Tod ihres Mannes gehört hatte, brach ohnmächtig zusammen. Priamos bittet um die Herausgabe der Leiche Der König Priamos beschloss, Achilles um die Leiche seines Sohnes zu bitten, bevor sie völlig entstellt war. Er ließ einen Wagen mit kostbaren Geschenken beladen und fuhr in der Nacht unbemerkt ins Lager der Griechen. Im Zelt des Achilles warf er sich zu Boden und flehte Achilles an, ihm die Leiche von Hektor herauszugeben. Dieser ließ sich von der Rede des Königs erweichen, übergab ihm im Tauschen gegen die Geschenke den Toten und vereinbarte eine mehrtätige Waffenruhe, damit Hektor von den Trojanern bestattet werden konnte. Deutung Die Ilias ist ein unvergleichliches Dokument archaischen Gedankengutes. Den Stoff der Ilias bilden zahlreiche Helden- lieder und Mythen aus vorhomerischer Zeit, die über die Jahrhunderte von Rhapsoden tradiert worden waren. Die besondere Leistung Homers besteht darin, diese Fülle an Geschichten über Götter und Helden zu einem einzigen Werk zusammengefügt und zu einem einzigen Thema integriert zu haben. Wer sich näher mit ihr beschäftigt, lernt eine völlig neue Weltsicht kennen. So wird schnell klar, dass die Archaier sich nicht als eigenständige Menschen, sondern als von außen durch Umwelteinflüsse und Götterbeschlüsse gelenkte Wesen sahen. Jede Entscheidung ist eine Eingebung von außen. Auch der Ehrbegriff ist ein gänzlich anderer, als wir ihn heute und seit dem Mittelalter gebrauchen. In Homers Epos ist Ehre etwas Materielles und misst sich daran, was und wie viel jemand besitzt. So allein ist auch der Zorn des Achill zu erklären, nachdem ihm seine Briseïs weggenommen wird- er wird quasi seiner Ehre beraubt. Das zentrale Thema ist nicht der politisch-historische Kampf um Troja, sondern eine menschliche Re- gung: Zorn. Damit verabschiedet sich die Ilias von Preis und Ruhm übermenschlicher Kriegs- und Heldentaten und geht den Gründen und den Folgen menschlicher Gefühle und Beziehungen nach. Sie zeigt, wie aus verletztem Ehrgefühl und Geltungssucht bei Agamemnon das Bedürfnis nach Demütigung Achills resultiert. Auch Achills Groll über Agamem- nons Verhalten ist aus der Sache und angesichts der Aufgabe, nach neun Jahren Belagerung endlich Troja zu erobern, nicht gerechtfertigt. Die Konsequenzen, die Achill zieht, gleichen eher kindlicher Trotzhaltung und sind eines großen Helden, der auch an die Folgen seines Tuns denken sollte, nicht würdig. Bei dem weiteren Verhalten des großen Hel- den betont die Ilias seine menschlichen Schwächen. Der Höhepunkt ist in dieser Hinsicht sicher die Schändung der Leiche Hektors, die Achill immer wieder um das Grab seines Freundes Patroklos schleift. Konsequent folgt auf die Hybris die Ankündigung seines baldigen Todes. Strukturell ist damit die Grundkonzeption der großen griechischen Tragödien des 5. Jahrhunderts von Aischylos, Sophokles und Euripides vorweggenommen, in denen ebenso auf Maß- losigkeit und Hybris der Untergang folgt. Der menschliche Blick trifft nicht nur die Griechen vor Troja, sondern auch deren Gegner. Die Ilias ist anders als man- che moderne Heldengeschichte weit davon entfernt, die Gegner einer kriegerischen Auseinandersetzung als die Gu- ten einerseits und Bösen andererseits zu dämonisieren. Die Protagonisten beider Seiten werden in ihren menschli- chen Stärken und Schwächen dargestellt. Und das gilt erstaunlicherweise auch für die dritte Gruppe von Akteuren in dem Kampf um Troja, die Götter. Die Götterwelt ist in der Ilias nach dem Muster einer menschlichen Familie geord- net, mit Zeus als Familienoberhaupt, Hera als dessen Gattin und einer ganzen Reihe von Töchtern und Söhnen wie z.B. Athene, Aphrodite, Apollon und Hermes. Und in dieser großen Familie gibt es allerlei Zwist, Eifersüchteleien, 9
  • 10. vhs-Kolleg Allgemeinbildung, Semester IV: Meilensteine der klassischen und modernen Literatur Täuschungsmanöver, Betrug, aber auch Mitleid, Hilfsbereitschaft und Verzeihen - ganz wie im normalen menschli- chen Leben. 5. Die Odyssee oder: die lange Heimfahrt nach Ithaka „Sage mir, Muse, die Taten des vielgewanderten Mannes, Welcher so weit geirrt, nach der heiligen Troja Zerstörung, Vieler Menschen Städte gesehn und Sitte gelernt hat, Und auf dem Meere so viel unnennbare Leiden erduldet, Seine Seele zu retten und seiner Freunde Zurückkunft. Aber die Freunde rettet' er nicht, wie eifrig er strebte; Denn sie bereiteten selbst durch Missetat ihr Verderben: Toren! welche die Rinder des hohen Sonnenbeherrschers Schlachteten; siehe, der Gott nahm ihnen den Tag der Zurückkunft. Sage hiervon auch uns ein weniges, Tochter Kronions.“ (Übersetzung von Johann Heinrich Voss, 1781) Das Werk Mit der Anrufung der Muse beginnt die – nach Homers Ilias – zweitälteste Dichtung der abendländischen Literatur. Die Odyssee ist ein Epos in 12200 Hexametern, das spätestens um 700 v. Chr. entstanden ist. Der Inhalt der 24 Bücher der Odyssee, die einen Handlungszeitraum von zehn Jahren umfasst, sind die Irrfahrten des griechischen Helden Odysseus nach Ende des Trojanischen Krieges, bevor er schließlich zu seiner Gattin Penelope heimkehrt. Der erste Teil des Epos beginnt kurz vor der Heimkehr des Odysseus, und wird in Rückblenden und Liedern eines fahren- den Sängers erzählt, die tatsächliche Berichtszeit umfasst nur 40 Tage. Parallel dazu schwenkt die Handlung in die Heimat des Helden, wo sich eine Horde Freier in seinem Hause niedergelassen hat, die um die Gunst seiner Gattin Penelope buhlen. Diese kann sich ihrer nur mit einer List erwehren und schickt ihren Sohn Telemachos aus, um nach seinem Vater zu suchen. In Form von Rückblenden erzählt Odysseus selbst seine Abenteuer. Der zweite Teil des Epos berichtet von Odysseus‘ Heimkehr nach Ithaka, wo er sich zunächst heimlich der Loyalität seiner Dienerschaft versi- chert und schließlich blutige Rache an den Freiern nimmt. Inhalt Kikonen Nach der Eroberung und Zerstörung der Stadt Troja machten sich die griechischen Helden auf, nach Hause zu segeln. Odysseus, der König von Ithaka, segelte mit seinen Gefährten zunächst an die Küste Nordgriechenlands, wo das Volk der Kikonen wohnte. Dort eroberten sie Ismaros, eine Stadt der Kikonen. Während dem anschließenden Fest- schmaus wurden sie dann aber von weiteren Kikonen angegriffen und unter großen Verlusten in die Flucht geschla- gen. Lothophagen Nach dem Abenteuer bei den Kikonen gerieten die Schiffe des Odysseus in einen furchtbaren Sturm, der sie von den bekannten Küsten in ein fernes Land trieb, wo die Lothophagen lebten. Die Lothophagen, die "Lotosesser", sind eine Bande von Rauschgiftsüchtigen, die seine Mannschaft anfixen, so daß sie die Heimat vergessen und für immer bei den Lothophagen bleiben möchten. Sie ernährten sich von einer Frucht, die in jedem den Drang heimzukehren aus- löscht. Odysseus schickte zunächst zwei Kundschafter aus, die von den Lothophagen freundlich aufgenommen und bewirtet wurden. Als sie darauf nicht zurückkehrten, mussten Odysseus und die anderen Gefährten sie mit Gewalt und gegen ihren Willen zu den Schiffen schleppen. Kyklopen Von den Lothophagen kam Odysseus auf eine kleine Insel. Dort ließ er die meisten Gefährten zurück und erkundete nur mit einem Schiff das gegenüberliegende Land, wo die Kyklopen hausten. Die Kyklopen waren einäugige Riesen, die einsam in Felshöhlen lebten und Ziegen und Schafe hüteten. Ohne dies zu wissen, betrat Odysseus mit den Gefährten eine Höhle und staunte über die reichen Vorräte, die er dort vorfand. Doch plötzlich kehrte der Kyklop zu- 10
  • 11. vhs-Kolleg Allgemeinbildung, Semester IV: Meilensteine der klassischen und modernen Literatur rück, trieb seine Schafe in die Höhle und verschloss den Eingang mit einem riesigen Stein. Als er bemerkte, dass sich Menschen in seiner Höhle befanden, packte er zwei von ihnen und verzehrte sie auf der Stelle. Um aus der Höhle zu entfliehen, ersann sich Odysseus folgende List: er schenkte dem Riesen einen Schlauch Wein, den dieser sogleich austrank, worauf er betrunken einschlief. Sodann packte Odysseus mit seinen Gefährten ein gewaltiges Holzstück, erhitzte dessen Spitze im Feuer und stieß diese in das eine Auge des Kyklopen. Von Schmerzen gepeinigt erwachte dieser, konnte aber die Griechen nicht mehr sehen und fangen. Am Morgen rollte er den Stein vom Eingang weg, tastete aber mit den Händen sorgfältig jedes Schaf ab, damit ihm die Menschen nicht entkommen konnten. Doch Odysseus hatte auch dies vorausgesehen und seinen Leuten befohlen, sich unter den Schafen zu verbergen. Auf die- se Weise konnten sie vor dem Riesen fliehen. Aiolos Rasch verließen Odysseus und seine Gefährten das Land der Kyklopen, bevor sie weiteren Schaden erlitten, und se- gelten weiter. Auf ihrer Reise gelangten sie nun zu einer schwimmenden Insel, auf der sich der Palast des Aiolos, des Gottes der Winde, befand. Aiolos empfing sie gastfreundlich und schenkte Odysseus zum Abschied einen Schlauch, in dem alle ungünstigen Winde gefangen waren. Um sicher nach Hause zu kommen, durfte Odysseus diesen Schlauch auf keinen Fall öffnen. So segelten sie mit gutem Wind zehn Tage lang und konnten bereits die Küsten Itha- kas, ihrer Heimat, in der Ferne erkennen. Doch da übermannte Odysseus, der bisher kein Auge geschlossen hatte, der Schlaf. Seine Gefährten, die schon lange darüber gerätselt hatten, was sich wohl in dem prall gefüllten Schlauch verbarg, beschlossen, die Gelegenheit zu benutzen und den Schlauch zu öffnen. Kaum war dies geschehen, brachen alle Winde in fürchterlichem Sturm hervor und trieben das Schiff geradewegs von Ithaka weg. Laistrygonen Von den Winden getrieben erreichte Odysseus nach langer Zeit das Land, in dem das Volk der Laistrygonen lebte. Zwei Gefährten, die Odysseus als Kundschafter ausgeschickt hatte, kamen schon bald in die Stadt der Laistrygonen. Doch wie erschraken sie, als sie die ersten Bewohner sahen. Es waren gewaltige Riesen, die sich sofort auf die Men- schen stürzten, um sie zu verzehren. In panischer Angst rannten die Gefährten zu den Schiffen zurück, wobei sie von den Riesen verfolgt wurden. Diese packten Felsblöcke und schleuderten sie auf die Schiffe. Bis auf eines wurden alle getroffen und versanken mitsamt der Mannschaft. Kirke Nach dem Abenteuer bei den Laistrygonen war Odysseus nur noch ein Schiff geblieben. Traurig über den Verlust der Gefährten ruderte er mit den verbliebenen Männern weiter. Schon bald gelangten sie zu einer kleinen Insel, auf der Kirke herrschte. Kirke, die Tochter des Sonnengottes, war eine große Zauberin. Als die Gefährten, die zur Erkundung ausgeschickt waren, zu ihr kamen, empfing sie sie freundlich und gab ihnen einen Zaubertrank. Kaum hatten sie da- von gekostet, verwandelten sie sich in Schweine. Nur ein Gefährte, der vor dem Haus zurückgeblieben war, konnte entkommen und Odysseus von dem Unglück berichten. Odysseus brach sogleich auf. Auf dem Weg begegnete ihm der Gott Hermes, der ihm ein Zauberkraut gab, wodurch der Trank der Kirke unwirksam gemacht wurde. Kirke nahm auch Odysseus freundlich auf, doch als er sich nicht in ein Schwein verwandelte, erschrak sie sehr. Odysseus zückte sein Schwert, ging auf Kirke los und zwang sie dazu, seine Gefährten wieder in Menschen zu verwandeln. Nachdem dies geschehen war, ließ er sich mit all seinen Gefährten von Kirke, die nun ihren Sinn gewandelt hatte, bewirten. Unterwelt Odysseus und seine Gefährten genossen die Zeit bei Kirke, wo sie sich als Gäste bewirten ließen und sich von den Strapazen der Seereise erholen konnten. Doch schließlich mussten sie weiterreisen. Kirke hatte Odysseus noch ver- raten, dass er vor der Heimkehr noch den Seher Teiresias befragen musste. Dieser war bereits gestorben; daher musste Odysseus ans Ende der Welt fahren, wo sich der Eingang zur Unterwelt befand. Dort opferte er ein Schaf, von dessen Blut die Schatten der Verstorbenen lecken konnten, so dass sie wieder eine Gestalt erhielten. Neben Teire- sias sah Odysseus viele gefallene Freunde, die alle ihr Schicksal beklagten. Nachdem er von Teiresias die gewünsch- ten Informationen erhalten hatte, war Odysseus froh, die unheimliche Stätte verlassen zu können. Sirenen Auf der Weiterfahrt von der Unterwelt kamen die Männer, wie es Kirke Odysseus bereits vorausgesagt hatte, zur Insel der Sirenen. Die Sirenen waren sangeskundige Göttinnen, die mit ihren Liedern die Seefahrer betörten und sie so auf die Klippen vor ihrer Insel lockten. 11
  • 12. vhs-Kolleg Allgemeinbildung, Semester IV: Meilensteine der klassischen und modernen Literatur Da Odysseus wusste, was auf sie zukommen würde, befahl er seinen Gefährten, sich die Ohren zu verstopfen. Ihn selbst mussten sie an den Mast binden, so dass er den Gesang der Göttinnen hören konnte. Erst als sie die Insel weit hinter sich gelassen hatten, durften die Gefährten Odysseus losbinden und sich das Wachs aus den Ohren nehmen. Skylla und Charybdis Kaum hatten Odysseus und seine Gefährten die Insel der Sirenen verlassen, hörten sie in der Ferne schon den Don- ner einer wütenden Brandung. Dies war die Charybdis, ein gewaltiger Strudel, der jedes Schiff verschlang, das ihm zu nahe kam. Gegenüber der Charybdis haste in einer Höhle die Skylla, ein grässliches Ungeheuer mit sechs Köpfen, welches die vorbeifahrenden Schiffe bedrohte. Es gelang Odysseus, das Schiff zwar unversehrt an der Charybdis vor- bei zu lenken, doch kaum hatte er diese Gefahr gemeistert, packte die Skylla schon sechs seiner Gefährten und ver- schlang sie auf der Stelle. Nach einer anderen Version der Sage gelang es nur Odysseus allein, der Charybdis zu ent- kommen, indem er sich an eine Meeresschildkröte klammerte. Rinder des Helios Wie froh waren Odysseus und seine Männer, als sie die doppelte Gefahr von Skylla und Charybdis hinter sich hatten! Nach kurzer Zeit gelangten sie zur Insel Thrinakia, wo die Rinder des Sonnengottes Helios weideten. Odysseus wusste, dass es verboten war, von diesen Rindern zu essen. Er befahl daher seinen Gefährten, die Tiere nicht anzurühren. Zuerst störte sie das Verbot nicht, doch als sie wegen ungünstiger Winde wochenlang auf der Insel zurückgehalten wurden und die Vorräte an Nahrung aufgebraucht waren, konnten sie der Versuchung nicht wider- stehen. Und als Odysseus sich kurz vom Lager entfernt hatte, schlachteten sie die Rinder und verzehrten sie. Doch die Strafe ließ nicht lange auf sich warten: Nachdem sie die Insel endlich verlassen konnten, gerieten sie sogleich in einen gewaltigen Sturm, der das Schiff zerschmetterte. Nur Odysseus überlebte das Unglück allein. Nach zehn Tagen erreichte er die Insel der Göttin Kalypso, die ihn freundlich aufnahm. Von dort kehrte er schließlich in seine Heimat Ithaka zurück, wo er noch manche Gefahr bestehen musste, bevor er seine Frau in die Arme schließen konnte. Vergleich Ilias-Odyssee Beide Epen sind in einem gehobenen epischen Stil in Hexametern verfasst, der ionische und äolische Sprachelemen- te beinhaltet. Ihre Sprache ist eine auf eine lange Tradition zurückgehende formelhafte Kunstsprache, die auf münd- licher Überlieferung basiert. Dies ist besonders an den zahlreichen formelhaften Elementen, wie schmückenden Beiwörtern, stereotypen Wendungen und Phrasen, zu erkennen, die immer wiederkehren. Während es in der Ilias um die Darstellung von aus Leidenschaft resultierenden Handlungen und unlösbaren Konflikten geht und auch die Götter mit negativen menschlichen Eigenschaften ausgestattet sind, kommt in der Odyssee in stärkerem Maße ein moralischer Aspekt zum Tragen. Achilleus, Agamemnon, Priamos und die übrigen Figuren lassen sich nicht als gut oder schlecht kategorisieren und sind als Täter und Opfer zugleich in ein grausames und letztendlich tragisch enden- des Geschehen verwickelt. In der Odyssee dagegen wird das Böse vernichtet; das Gute siegt schließlich, und die Fa- milie des Helden ist am Ende wieder vereint. Auch Odysseus zeigt im Umgang mit Personen niedrigeren sozialen Ranges, wie Hirten, Dienern oder Bettlern, Tugenden wie väterliches Interesse, Verantwortungsbewusstsein und Güte, die auf eine exemplarische Königsherrschaft schließen lassen und wodurch er als Vorbild eines guten, gerech- ten Herrschers erscheint. Wirkungen Die Wirkung der Epen Homers auf die gesamte nachfolgende Literatur der Griechen kann gar nicht überschätzt wer- den. Als maßgeblicher Gestalter ihres Götter- und Menschenbildes beeinflusste er Tragödie, Geschichtsschreibung und Philosophie und wurde bereits in der Antike in den Kanon der klassischen Schulautoren aufgenommen. Beinahe jeder Epiker in der abendländischen Literatur berief sich direkt oder indirekt auf das homerische Vorbild oder setzte sich kritisch damit auseinander. In der römischen Literatur gab es bereits im 3. Jahrhundert v. Chr. eine Nachdich- tung durch Vergils römisches Nationalepos Aeneis beinhaltete eine Widerlegung des individualistischen Wertesys- tems der homerischen Epik Epos Paradise Lost (Das verlorene Paradies) des englischen Dichters John Milton – bei- spielsweise die Schilderung des Kampfes im Himmel – haben eher komischen Charakter. Im Bereich des Romans, beispielsweise im Don Quijote (1605) von Miguel de Cervantes oder im Ulysses (1922) von James Joyce, zeigen die auf Homer anspielenden Passagen eine deutliche Neigung zu Parodie und Spott. In Deutschland wirkte der Einfluss Homers besonders auf Goethe, Lessing und Herder, durch die Übersetzungen von Johann Heinrich Voss (Odyssee, 1781, Ilias, 1793) wurden seine Werke breiten Bevölkerungsschichten zugänglich. 12
  • 13. vhs-Kolleg Allgemeinbildung, Semester IV: Meilensteine der klassischen und modernen Literatur Unter den Übertragungen der jüngeren Zeit ist besonders die des Altphilologen Wolfgang Schadewaldt zu nennen oder in einem eher umgangssprachlichen Duktus: Ilias. Neu übertragen von Raoul Schrott. München 2008. 6. Das Theater im antiken Griechenland Im antiken Athen entstanden im 5. Jhd. v. Chr. die Tragödie und die Komödie. Die Tragödie entstand im Rahmen der griechischen Festkultur und ging aus den Festen anlässlich des griech. Gottes Dionysos hervor. Aufführungen fanden tagsüber in den großen Amphitheatern statt, in denen sich das ganze Volk versammelte. Die Inszenierungen waren in Form von Wettkämpfen inszeniert, bei denen mehrere Tragödien nacheinander aufgeführt und von Kampfrichtern bewertet wurden. Im 5. Jahrhundert v. Chr. wurden etwa 1000 Tragödien aufgeführt. ein Drittel davon stammt von den drei bekanntesten Autoren Sophokles, Aischylos und Euripides. Die antike Tragödie und deren didaktische Funk- tion, die Katharsis" wurde von Aristoteles beschrieben und dient bis heute als Definition der Tragödie: "Die Tragödie ist Nachahmung einer guten und in sich geschlossenen Handlung von bestimmter Größe, in anziehend geformter Sprache, wobei diese formenden Mittel in den einzelnen Abschnitten je verschieden angewandt werden - Nachah- mung von Handelnden und nicht durch Bericht, die Jammer und Schaudern hervorruft und hierdurch eine Reinigung von derartigen Erregungszuständen bewirkt." (Aristoteles: Poetik. Übersetzt und herausgegeben von Manfred Fuhr- mann. Stuttgart: Reclam, 1994, S.19).Im antiken Athen entstand gleichzeitig die Komödie aus dem Fruchtbarkeitsritual des Satyrspiels. Sie fand ihren Höhepunkt um 400 v. Chr. mit den Komödien des Aristophanes (Alte Komödie) und Menander (Neue Komödie). Dichter und Werke des griechisch-antiken Dramas (Auswahl) Dichter Tragödien Komödien Aischylos Die Perser, Der gefesselte Prometheus, Die (um 525 bis 456 v. Chr.) Orestie (Trilogie: Agamemnon, Die Toten- spende und Die Eumeniden) Sophokles Aias, Antigone, König Ödipus, Elektra (496 bis 406 v. Chr.) Euripides Alkestis, Medea, Die Troerinnen, Die Bakchen, (480 bis 406 v. Chr.) Iphigenie bei den Taurern, Iphigenie in Aulis Aristophanes Die Wolken, Die Vögel, Lysistra- (um 445 bis um 385 v. Chr.) te, Die Frösche, Die Kugelmenschen (laut einer Erzählung Platons) 7. Oedipus Rex Autor Sophokles (* 497 v. Chr. - 405 v. Chr. in Athen) war ein griechischer Dichter. Seine erhaltenen Stücke, vor allem Antigone oder Ödipus, sind noch heute auf den Bühnen der ganzen Welt zu sehen. Er ver- fasste mindestens 123 Dramen, und siegte mindestens phänomenale 18 mal bei den Dionysien. 7 Dramen und ein Satyrspiel sind überliefert. Ödipus erhielt bei den Dionysienspielen nur den 2. Preis, obwohl das Stück heute als der Prototyp einer Tragödie gilt. Inhalt Vor den Toren der Stadt Theben erschien einst ein geflügeltes Ungeheuer, die Sphinx. Die Sphinx lagerte auf einem Felsen und legte den Bewohnern von Theben allerlei Rätsel vor, war die Antwort falsch, so zerriss und fraß die Sphinx denjenigen, der es übernommen hatte, das Rätsel zu lösen. Das alles geschah, als die Stadt gerade um ihren alten König Laios trauerte, der auf einer Reise erschlagen worden war. Und niemand wusste, wer es gewesen war. Nun hatte Kreon, der Bruder der Königswitwe Iokaste, die Herrschaft ergriffen. Aber der Sohn von Kreon war von Sphinx ergriffen und verschlungen worden, als er das aufgegebene Rätsel nicht lösen konnte. In seiner Not befahl Kreon, dass derjenige, welcher die Stadt von der Würgerin befreien könnte, das Reich und seine Schwester als Ge- mahlin erhalten sollte. 13
  • 14. vhs-Kolleg Allgemeinbildung, Semester IV: Meilensteine der klassischen und modernen Literatur Oedipus und das Rätsel der Sphinx Kaum war die Bekanntmachung öffentlich kund getan, da betrat Ödipus an seinem Wanderstabe die Stadt Theben. Die Gefahr und der Lohn reizten ihn, zumal er den Wert seines Lebens wegen einer drohenden Weissagung gering einschätzte. Ödipus begab sich daher zu dem Felsen, auf dem die Sphinx ihren Sitz genommen hatte, und ließ sich von ihr ein Rätsel geben. Das Unge- heuer gedachte, es dem kühnen Fremdling nicht leicht zu machen und sprach: "Es ist am Morgen vierfüßig, am Mit- tag zweifüßig, am Abend dreifüßig. Von allen Geschöpfen wechselt es allein die Zahl seiner Füße. Aber wenn es die meisten Füße bewegt, sind Kraft und Schnelligkeit seiner Glieder am geringsten."Ödipus lächelte, als er dieses Rätsel vernahm. "Dein Rätsel ist der Mensch!", rief er. "Am Morgen seines Lebens, solang er ein schwaches und kraftloses Kind ist, steht und geht er auf seinen beiden Füßen und auf seinen Händen. Ist er erstarkt, so geht er am Mittage seines Lebens nur auf zwei Füßen. Ist er endlich zum Greis geworden, bedarf er der Stütze, und nimmt einen Stab als dritten Fuß zur Hand."Das Rätsel war glücklich gelöst, und die Sphinx stürzte sich aus Scham und Verzweiflung vom Felsen in den Tod. Ödipus aber bekam zum Lohne das Königreich von Theben und die Hand der königlichen Witwe Iokaste. Die Pest bricht über Theben herein So entsprangen aus dieser Verbindung nach und nach vier Kinder. Zuerst waren es die männlichen Zwillinge Eteokles und Polyneikes, dann zwei Töchter, Antigone und Ismene. Mochte Ödipus auch manchen Gemütsfehler haben, so war er doch ein guter und gerechter König. Glücklich und geliebt herrschte er über Theben. Da aber sandten die Göt- ter eine Pest über das Land, die im Volke grausam zu wüten begann. Nicht ein einziges Heilmittel wollte gegen diese Plage fruchten. Die Thebaner sahen in diesem Übel eine von den Göttern gesandte Geißel. Darum suchten sie Schutz bei ihrem Herrscher, galt er doch als Günstling des Himmels. Männer und Frauen, Greise und Kinder, selbst die Pries- ter erschienen vor seinem königlichen Palaste. Alle setzten sich um einen Altar, der vor den Toren stand. Als Oedipus hervortrat und nach der Ursache der Versammlung fragte, antwortete ihm der älteste Priester: "Siehe selbst, oh Herr, welch Elend auf uns lastet. Felder und Weiden sind von unerträglicher Hitze versengt. In unsern Häu- sern wütet die verzehrende Seuche. Umsonst streckt die Stadt ihr Haupt aus den blutigen Wogen des Verderbens empor. In dieser Not nehmen wir Zuflucht bei dir, geliebter Herrscher. Du hast uns schon einmal aus tödlicher Ge- fahr befreit, als die grimmige Sphinx uns nach dem Leben trachtete. Gewiss ist dieses nicht ohne Hilfe der Götter geschehen. Und darum vertrauen wir darauf, dass du uns auch dieses Mal zu Hilfe kommen wirst." Kreon verkündet den Spruch des Orakels "Arme Kinder", erwiderte Ödipus, "mir ist mir die Ursache eures Flehens wohl bekannt. Im Geiste habe ich nach Ret- tung geforscht, und endlich glaube ich das Richtige gefunden zu haben. Meinen eigenen Schwager Kreon habe ich zum Apollon nach Delphi gesandt, dass er dort frage, welches Werk oder welche Tat die Stadt befreien kann." Der König sprach noch, als Kreon unter die Menge trat und den Spruch des Orakels verkündete. Dieser lautete: "Das Land beherbergt einen Frevel. Lasst ab davon und pflegt nicht das, was sich der Wiedergutmachung entzieht. Denn der Mord am alten König lastet als schwere Blutschuld auf dem Lande." Ödipus war noch immer ganz ohne Ahnung, dass der Greis, den er einst erschlagen hatte, den Zorn der Götter heraufbeschworen hatte. Er ließ im ganzen Land ver- künden, dass jeder es anzeigen solle, wenn er genauerer Kunde von der Mordtat habe. Den Täter selbst aber ver- fluchte er, wünschte ihm Not und großes Verderben. Tiresias beschuldigt Oedipus Dann sandte Ödipus zwei Boten zu dem blinden Seher Tiresias, der mit seinem Blick für das Verborgene dem Apollon fast ebenbürtig war. Der Seher erschien auch bald in der Volksversammlung, geführt von der Hand eines Knaben. Ödipus trug ihm die Sorge des Landes vor und bat, der Seher möge seine Kunst darauf verwenden, die Spur des Mordes aufzudecken. Tiresias aber streckte seine Hände zur Abwehr gegen den König aus und rief mit bebender Stimme: "Entsetzlich ist das Wissen, das nur Unheil über mich bringt! Lass mich heimkehren, oh König! Trage du das Deine und lasse mich das Meinige tragen!" Ödipus setzte dem Seher noch mehr zu, und das Volk begann ihn zu um- ringen. Da warf sich Tiresias flehend auf die Knie, doch seine Lippen blieben verschlossen. Dies weckte den Jähzorn in Ödipus, und er beschuldigte den Seher, in die Mordtat verstrickt zu sein. Diese Beschuldigung löste endlich die Zunge des Sehers und er sprach: "Ödipus, du bist es doch selbst, der diese Stadt beleidigt! Ja, du bist der Königsmör- der. Und schlimmer noch! Du lebst mit der Königswitwe Iokaste, deiner Mutter, fluchwürdig zusammen." 14
  • 15. vhs-Kolleg Allgemeinbildung, Semester IV: Meilensteine der klassischen und modernen Literatur Oedipus schwant Übles Doch Ödipus wollte dies alles nicht wahr haben. Er beschimpfte den Seher nur als Zauberer und listigen Gaukler. Noch blinder als der König war seine Gemahlin Iokaste. Kaum hatte sie von Ödipus erfahren, dass Tiresias den Mör- der genannt hatte, da brach sie in laute Verwünschungen aus. "Sieh nur, Gemahl", rief sie, "wie wenig diese Seher doch wissen. Mein erster Gatte, König Laios, hat einst einen Orakelspruch erhalten. Der besagte, dass er von Sohnes Hand sterben werde. Nun wurde er aber von Räuber in einem Hohlweg erschlagen, wie man mir sagte. Und unser einziger neugeborener Sohn wurde mit gebunden Füßen ins öde Gebirge geworfen, wo er sicher nicht überlebt hat. So erfüllen sich also die Sprüche der Seher!" Diese Worte sprach die Königin mit voller Hohn, doch Ödipus ahnte nun das grausige Unheil. "In einem Hohlweg ist der alte König gefallen?", fragte er bangend. "Wie war seine Gestalt, sein Alter?" "Groß war er mit ersten Greisenlo- cken im Haar", antwortete Iokaste und begriff nicht, was Ödipus so tief bewegte. "Tiresias ist nicht blind, Tiresias ist sehend!" rief Ödipus voller Entsetzen, als er die unbarmherzige Wahrheit erkannte. Die Befragung des Schäfers Jetzt konnte er nicht anders, er musste immer weiter forschen. So kam Ödipus auch dahinter, dass ein Diener des alten Königs den Mord im Palast mit angesehen hatte. Als dieser Diener aber erfuhr, wer da auf dem Throne saß, ließ er sich weit weg von der Stadt als Hirte nieder. Doch Ödipus verlangte nun ohne Unterlass, den Diener Auge in Auge zu sprechen. Noch bevor der Diener herbeigeschafft war, erschien ein Bote aus Korinth. Er meldete Ödipus den Tod seines Vaters Polybos und rief ihn dazu auf, den Thron des Landes zu besteigen. Als die Königin dies hörte, sprach sie triumphierend: "Wie töricht diese Weissagungen doch sind! Der Vater, der von Ödipus gemordet werden sollte, ist sanft in seinem Bette verschieden!" Doch Ödipus glaubte nicht daran, dass sein Orakelspruch unerfüllt bleiben könn- te. Darum wollte er auch nicht nach Korinth gehen, weil dort seine vermeintliche Mutter noch lebte. All diese Zweifel konnte der Bote aus Korinth aber bald entkräften. Denn er war derselbe Mann, der auf dem Berge Kithairon einen gefesselten Knaben von einem königlichen Die- ner empfangen hatte. Auch konnte der Bote Zeugnis dafür ablegen, dass der König von Korinth den Ödipus nur als Pflegesohn in seine Obhut hatte. Ein dunkler Trieb nach Wahr- heit ließ jetzt Ödipus nach dem Diener forschen, der das gefesselte Kind übergeben hatte. Ödipus erfuhr von seinem Gesinde, dass es derselbe Diener sei, der den Mord am alten König mit angesehen hatte, jetzt aber als Hirte sein Leben in der Ferne friste. Dieser Hirte war nun endlich auch herbeigeschafft. Der Bote aus Korinth erkannte in ihm sogleich den königlichen Diener, der einst den Knaben auf dem Berge Kithairon übergeben hatte. Der Hirte wurde ganz blass vor Schrecken und wollte alles leugnen. Doch zornige Drohungen von Ödipus entlockten ihm das wahre Geschehen. Der Hirte legte also dar, dass der ermordete König der Vater von Ödipus sei und Königin Iokaste die Mutter. So erfuhren es alle, dass Ödipus der Gemahl seiner eigenen Mutter war. Der Tod Iokastes und die Blendung Oedipus‘ In ganz Theben wurde darüber geredet, dass König Ödipus seinen Vater getötet und seine Mutter Iokaste geheiratet hatte. Das Entsetzliche war nun enthüllt und kein Zweifel stand dagegen. Als Ödipus dieses hörte, stürzte er mit wahnsinnigem Schrei davon, irrte im Palast umher und verlangte nach einem Schwert. So wollte er seine Mutter und Gattin, die im wie ein Ungeheuer vorkam, von der Erde vertilgen. Doch jeder im Palast beeilte sich nur, dem Rasen- den aus dem Wege zu gehen. Da lief Ödipus grässlich schluchzend zu seinem Schlafgemach und warf das Tor auf. Ein grauenhafter Anblick hemmte plötzlich seine schnellen Schritte. Hoch über dem Lager erblickte er schwebend, Iokaste, die sich mit einem Strang erhängt hatte. Ödipus stand wie versteinert mit zerrauftem Haar da und konnte seinen Blick nicht von ihr wenden. Dann aber näherte er sich zaghaft, mit erstickenden Worten, ließ das aufgezogene Seil herab und senkte die Leiche langsam zu Boden. Wie sie nun vor ihm lag, riss Ödipus vom Irrsinn getrieben die goldenen Brustspangen aus dem Gewand seiner Frau und trieb sich das spitze Gold tief in seine Augenhöhlen. Mit einem Aufschrei sank Ödipus blutüberströmt auf die Knie und weinte bitterlich. Dann verlangte er, der sich selbst geblendet hatte, aus dem Tor geführt zu werden. Sein Wille war, dass er als Fluch des Himmels und als Scheusal der Erde dem Volke von Theben vorgestellt werde. 15
  • 16. vhs-Kolleg Allgemeinbildung, Semester IV: Meilensteine der klassischen und modernen Literatur Das Mitgefühl des Volkes und der Weg in die Verbannung Die Diener erfüllten sein Verlangen, aber das Volk empfing den einst so geliebten und verehrten Herrscher nicht mit Abscheu, sondern mit wahrem Mitleid. Auch sein Schwager Kreon, der im Streit von Ödipus gegangen war, eilte nun herbei. Er wollte den gestraften Mann in die Obhut seiner Kinder geben. Solches Mitgefühl hatte der gebeugte Ödi- pus nicht erwartet. Umso leichter fügte er sich in sein Schicksal und übergab den Thron an seinen Schwager. Dieser sollte ihn für die Söhne von Ödipus in Verwahrung behalten. Weiterhin erbat er sich für seine tote Gemahlin und Mutter ein Grab und für seine verwaisten Töchter den Schutz des neuen Herrschers. Für sich selbst aber wünschte er die Ausstoßung aus dem Lande, und die Verbannung auf den Berg Kithairon. Dort wollte er jetzt leben oder sterben, nach dem Willen der Götter. Bevor Oedipus nun seine Verbannung antrat, verlangte er nach seinen Töchtern, deren Stimme er noch einmal hören wollte. Auch legte er seine Hände auf ihre unschuldigen Häupter und segnete sie. Dann richtete er ein letztes Wort an Kreon und dankte ihm für alle Liebe, die dieser ihm erwiesen hatte. Darauf führte Kreon den Ödipus in das Haus zurück, in dem er jüngst noch als mächtiger Herrscher und als Retter von Theben gelebt hatte. Nur eine kurze Frist sollte ihm noch gegeben sein, bevor er als blinden Bettler die Tore der Stadt und die Grenzen seines Königreiches zu verlassen hatte. Selbsterkenntnis als ein Thema der Tragödie Oedipus Rex Selbsterkenntnis ist wohl eine der gefürchtetsten und unangenehmsten Erfahrungen, die ein Mensch machen kann. Lange versucht er sich über etwas hinwegzutäuschen, doch irgendwann wird die Beweislast erdrückend und die Wahrheit dringt ins Bewusstsein des Betroffenen. Dabei kann manchmal Schreckliches ans Licht kommen. Auch im Antiken Theater war die Selbsterkenntnis schon ein ebenso spannendes wie abstoßendes Thema. König Ödipus wird unwissentlich Vatermörder und ehelicht seine Mutter, was er nach langer Weigerung erkennen und verarbeiten muss. Der hier vorgestellte Abschnitt setzt ein, nachdem Ödipus erkennen musste, dass er unwissentlich seinen Vater getö- tet und seine Mutter geehelicht hat. Iokaste, seine Frau und Mutter, erhängt sich daraufhin. Ödipus blendet sich selbst und verlangt, außer Landes geworfen zu werden. So endet der vierte und letzte Epeisodion, und Ödipus und der Chor singen gemeinsam ein letztes Klagelied. Die Gesprächsentwicklung in diesem Kommos lässt sich in drei Phasen gliedern. In der ersten Phase zeigt der Chor Mitgefühl für Ödipus. Er beklagt sein Schicksal und dramatisiert. Zu Beginn ist er auch noch dankbar für die Unters- tützung des Chores, und als der Chor auf die Blendung zu sprechen kommt, erklärt Ödipus, es sei göttlicher Wille gewesen und außerdem sei sein Leben, nach dem, was er erkannt habe, sinnlos geworden. Der Chor bezeichnet ihn als einen gebrochenen Mann, den er sich wünscht, nie gekannt zu haben und wendet sich damit von Ödipus ab. Darauf folgt ein langer Monolog des Ödipus, in dem sein Erkenntnisprozess den Höhepunkt erreicht. Zu Beginn wendet er sich vom Chor ab. Er möchte ihn so nicht mehr zum Berater haben. Ödipus sinnt nach über die Taten, derer er teils unbewusst schuldig geworden ist. Außerdem wünscht er sich auch nichts mehr hören zu können, um sich so besser vor seiner Erkenntnis schützen zu können. Aber er ist inzwischen gefasster und sieht seinem Schicksal klar ins Auge. Letztendlich erkennt er, dass er mit seiner Schuld, die darin liegt, dass er die Gesetze der Götter aufs Schändlichste gebrochen hat, nicht weiterleben kann.. Im weiteren Verlauf stellt Ödipus Fragen, ruft aus, wiederholt Wörter und verwendet Steigerungen wie „hinweg den Verworfenen, den Verfluchtesten und auch den Göttern Verhasstesten unter den Sterblichen!“ (v.1344f). Damit bringt er seine Verzweiflung, den Drang des „Nichtglaubenwollens“ und schließlich seinen sich steigernden Erkenn- tnisprozess zum Ausdruck. Auch die aussichtslose Lage, in der er sich befindet, spiegelt sich in seiner Sprache wieder: Der Monolog dient der Aufklärung seiner Situation und ermöglicht es ihm, damit umzugehen vor sich selbst. So stellt er Fragen, verbietet sich seinen Wunsch, die Kinder noch einmal sehen zu wollen, und hält gelegentlich inne, was sich in Parenthesen ausdrückt. Er wünscht und verwünscht, erklärt und versteht und verurteilt sich letzten Endes selbst ein zweites Mal: „Kommt, überwindet euch, anzufassen den Unglücksmann! Folgt mir habt keine Angst! (v.1413f). Ödipus ist geblendet. Doch nun, da er geblendet ist, wird er „sehend“ für die Wahrheit. 16
  • 17. vhs-Kolleg Allgemeinbildung, Semester IV: Meilensteine der klassischen und modernen Literatur Im Fall von Ödipus war die Selbsterkenntnis sein Ende, doch sich selbst zu erkennen muss nicht zwingend das Aus bedeuten. Sicherlich erfordert es Mut, sich Fehler einzugestehen, doch bietet es auch Möglichkeiten, sich selbst zu entdecken und neue Aufgaben anpacken zu können. Schließlich ist „sich selbst erkennen“ Voraussetzung, um sich weiterentwickeln zu können. Bei Sophokles sollte der Fall Ödipus die Zuschauer sicherlich erschrecken und Mitleid hervorrufen, aber vielleicht auch dazu auffordern, mit sich selbst ins Reine zu kommen und lange Verdrängtes vor sich zuzugeben. Literatur: Oedipus in der Version von Gustav Schwab: http://gutenberg.spiegel.de/schwab/sagen/sch1531.htm 8. Die Komödie Die Komödie entstand wie auch die Tragödie aus dem Dionysoskult, wobei Phallosträger Lieder zu Ehren Dionysos' sangen, um einen Vegetationszauber auszuüben. Seit 488 v. Chr. gab es die ersten Aufführungen von Komödien in Athen, die sich zwei Jahre später zu Dichterwettbewerben ausdehnten. Als Begründer der attischen Komödie gilt Kratinos. Er legte mit seinem Humor und seinem Spott den Grundstein für die weiteren Komödiendichter. Der wohl berühmteste Dichter dieser Zeit ist Aristophanes (um 448 - 385 v. Chr.). Mit seinen Satiren und Karikaturen wie z.B. von Sokrates in seinem Stück "Wolken" begeisterte er das Publikum und kritisierte zugleich politische Zustände und wissenschaftliche Strömungen. Die Kugelmenschen Der Philosoph Platon (427-347 v. Chr.) berichtet in seinem Werk Symposion dass auf diesem Gastmahl bei dem um es das Thema Eros geht der Komödiendichter Aristophanes die folgende Geschichte der Kugelmenschen erzählt: „Eines Tages wurde es den Göttern am Olymp langweilig und sie beschlossen, ein Ebenbild von ihnen zu schaffen. Dieses sollte sie amüsieren und ihnen Abwechslung in die Ewigkeit bringen. So formten die Götter also ein Ebenbild von ihnen, mit einer großen Ausnahme: Von all den Eigenschaften die jeder einzelne besaß, nahmen sie nur das Bes- te: Die Gerechtigkeit der Athene, die Güte von Hera, die Liebe der Aphrodite, die Größe des Zeus, usw. . So schickten sie diese Kugelmenschen, die mit 4 Armen, 4 Beinen, 2 Köpfen, 2 Herzen... ausgestattet waren, den Olymp herab, um auf der Erde, auf Mutter Gaia, Leben zu führen. Doch bald merkten die Götter, daß der Kugelmensch zu perfekt war. Er wuselte irrsinnig schnell durch die Gegend, machte keine Fehler, wie die Götter es bisweilen taten, er stritt auch nie, wie das die Götter des öfteren taten. Davon beängstigt, dass diese Leben die Götter, deren Schöpfer, einst über- flügeln würden, selbst diese töten, wie es einst Zeus mit seinem Vater Chronos, und dieser mit seinem Vater Chaos tat, trafen die Götter wieder zusammen, um einen Entschluß zu fassen. Der Kugelmensch, das Wesen, welches sie geschaffen hatten, sollte fortan nur noch als Hälfte umherirren und das ganze Leben mit der Suche nach seiner ande- ren Hälfte verbringen müssen.“ 9. Sappho und ihre Lyrik Sappho (*um 630 v. Chr., † um 570 v. Chr.) war eine antike griechische Dichterin und Philosophin. Sie gilt als bedeu- tendste Lyrikerin des klassischen Altertums und gehört lebte in Mytilene auf der Insel Lesbos, einem kulturellen Zentrum des 7. vorchristlichen Jahrhunderts. In ihren Gedichten spielt die erotische Liebe eine wichtige Rolle. Nach heutigen Schätzungen sind nur ca. 7 Prozent von ihrem Gesamtwerk erhalten geblieben. Leben Das Leben der Sappho ist nur in späteren Legenden aufgezeichnet. Denen nach entstammte sie einem alten mytile- nischen Adelsgeschlecht und musste aus politischen Gründen nach Sizilien fliehen. Um das Jahr 591 v. Chr. kehrte sie nach Lesbos zurück und versammelte dort eine Gruppe von Schülerinnen um sich. Sie unterrichtete die jungen Frau- en in musischen Fertigkeiten wie Poesie, Musik, Gesang und Tanz und trat mit ihnen bei Festen zu Ehren der Götter auf. Es gibt Vermutungen, dass sie mit einem reichen Kaufmann verheiratet war und eine Tochter na- mens Kleis hatte, deren Haar sie in einem Gedicht als „blonder als das Fackellicht“ beschreibt. Über Sapphos Tod wird zwar berichtet, dass sie sich aus unerwiderter Liebe von einem Felsen gestürzt haben soll; dies wird heute als erst in christlicher Zeit entstandene Legende angesehen. 17
  • 18. vhs-Kolleg Allgemeinbildung, Semester IV: Meilensteine der klassischen und modernen Literatur Werk Zum Werk der Sappho gehörten Götterhymnen, Hochzeits- und Liebeslieder, die in der Antike in neun Büchern ge- sammelt waren, heute jedoch alle verloren sind. Die Überlieferung muss sich daher auf Verweise und Zitate anderer Autoren oder auf Papyrusfetzen stützen. Bis heute konnten nur vier ihrer aiolischen Gedichte auf diese Weise mit hinreichender Sicherheit rekonstruiert werden. Eines der letzten davon wurde erst im Jahre 2004 bekannt, als die beiden Professoren Michael Gronewald und Robert Daniel vom Institut für Altertumskunde an der Universität zu Köln auf einem Papyrus, der als Mumienkartonage verwendet worden war, Teile davon fanden und zur Rekonstruk- tion einsetzen konnten. Sappho gilt als die bedeutendste Lyrikerin der Antike, besonders gerühmt wurde im Altertum ihre klare und aus- drucksstarke Sprache, durch die sie unter anderem zum Vorbild des römischen Dichters Horaz wurde. Auch Catull beeindruckten Sapphos Werke, so dass er sie sogar in seinen Gedichten zitierte. Zwei Jahrhunderte nach ihrem Tod schätzte Platon ihre Lyrik so sehr, dass er Sappho als zehnte Muse bezeichnete. Dass viele ihrer Lieder homoerotische Anklänge haben und sich auf die Liebe zwischen Frauen beziehen, lässt sich noch heute an den Be- zeichnungen „lesbisch“ und etwas seltener „sapphisch“ erkennen, die für weibliche Homosexualität gebraucht wer- den. Weibliche Homosexualität war im antiken Griechenland auch im öffentlichen Rahmen anzutreffen, aber nicht mit derselben positiven Bedeutung wie die männliche. Zumindest in Sparta war jedoch die lesbische Bindung ein Bestandteil der Erziehung. Textbeispiel Sappho: Die Priamel-Ode Mancher sagt, ein Wagenheer sei das Schönste auf der schwarzen Erde, und mancher: Fußvolk, mancher: eine Flotte; ich aber sage: das, was man lieb hat. Einem jeden Menschen dies klar zu machen ist sehr leicht. Es hat ja die schönste aller Menschenfrauen, Helena, einst den besten Gatten verlassen, und sie stieg ins Schiff für die Fahrt nach Troja, und vergaß ihr Kind, und der lieben Eltern dachte sie nicht mehr; es entführte Kypris sie durch die Liebe. In der Göttin Hand ist das Herz geschmeidig jedes Menschen, unsre Gedanken lenksam. So hat sie auch mich an das ferne Mädcheneben erinnert, deren holdes Schreiten ich lieber sähe und des Lichtes Spiel auf dem blanken Antlitz So kurz das Gedicht ist, enthält es doch seinem Inhalt nach alle Elemente der großen Chorlyrik; Meditation dominiert über den Ausdruck des momentanen Gefühls. Die Form ist nicht anders wie sonst; [...]. Die Frage nach dem Schöns- 18
  • 19. vhs-Kolleg Allgemeinbildung, Semester IV: Meilensteine der klassischen und modernen Literatur ten auf dieser Welt wird in dem Gedicht zweimal beantwortet: grundsätzlich am Schluss der ersten Strophe, und in Anwendung auf die Sprecherin in der letzten Strophe. Sappho findet die höchste Schönheit nicht in der imposanten Entfaltung der prangenden Macht, sondern im intimen Reiz eines geliebten Menschen; und nicht in dem, was alle Menschen gleichermaßen bewundern, sondern in dem, was jeder für sich liebt und wünscht. Sapphos gesamte Dichtung gründet sich auf diese Stellungnahme; dass es ihm auf den subjektiven und persönlichen Wert (oder Unwert) mehr ankommt als auf den objektiven und allgemeinen. Eben diese Stellungnahme war die Vor- aussetzung dafür, dass die Epik von der Lyrik abgelöst wurde. Schön ist für sie, so sagt Sappho, was wir jeweils lieben und begehren; aber es steht nicht bei uns, was wir lieben wollen. Helena besaß, was sich eine Frau nur irgend wün- schen kann, und doch gab sie alles hin um einem fremden Mann zu folgen, weil die Leidenschaft sie dazu zwang. Dieselbe Aphrodite, die Helena in der Ferne ihr Glück suchen ließ, hat Sappho soeben an die ferne Anaktoria erinnert und sie mit heißem Verlangen nach dem Anblick des geliebten Mädchens durchschauert. Ohne Zweifel war dies Er- lebnis der Anlass des Gedichts. Sappho war von einer Welle der Sehnsucht überflutet worden; dann hat sie über das reflektiert, was ihr widerfahren war, und es auf das Prinzip zurückgeführt, das ihm zu Grunde liegt. Nach der Weise der Chorlyrik beginnt sie ihr Lied mit der Aufstellung eines allgemeinen Satzes, um dann diesen Satz mit einem my- thischen Beispiel zu belegen; als zweiter Beleg folgt später Sapphos persönliche Erfahrung. Zwischen dem Mythos und dem gegenwärtigen Ereignis vermitteln neue Gnomen, in denen in Frömmigkeit der Götter gedacht wird. Im Gegensatz zu den anderen Gedichten distanziert sich dieses Lied vom Erlebnis und redet von ihm erst an letzter Stel- le. Die Tragweite von Sapphos erstaunlicher These war sehr groß; sie hat die Kraft in sich, jeden absoluten Wert zu stür- zen. Denn alles Erstrebenswerte fiel unter den Begriff des Schönen, so dass "das Schöne" zur Richtschnur für das praktische Handeln wurde. Nach Sappho hat Helena, selbst die schönste und begehrteste aller Frauen, ein Leben mit Paris schöner gefunden als das, was sie vorher führte; und sie dachte und handelte so, weil sie von Liebe ergriffen war. Wir begehren nicht das, was an sich schön ist, sondern wir finden schön, was wir begehren. Damit ist halb schon die These des Sophisten Protagoras vorweggenommen, nach welcher der Mensch das Maß aller Dinge ist. Rückblickend ist nun freilich doch zu bemerken, dass das Liebesleben den Scheinwerten der Männerwelt entgegens- tellt und überordnet, doch tatsächlich das sehnende Begehren, das Heimweh nach der fernen Freundin alles konven- tionell Werthafte auf- und überwiegt; das könnte fast dasselbe scheinen, aber gerade dieses nicht aggressive, son- dern gelassene Sich-Hineinstellen ins Eigene, in Leid und Glück, dieses indifferente Gelten lassen des anderen als eines ebenfalls Möglichen, aber sie nicht Betreffenden, dieses Nicht-Anfechten und Nicht-Angefochten werden an- gesichts der gängigen Konventionen, macht wohl das eigentlich Sapphische und, wie man empfinden wird, das Noble und Großgeartete ihres Dichtens aus. Literatur: Michael Schroeder: Sappho von Lesbos: Europas erste Dichterin. Biographie. Artemis & Winkler, 2008. 10. Die Fabeln des Aesop Der phrygische Sklave Aesop (um 550 vor Chr.) soll angeblich als erster Fabeln indischer und griechischer Herkunft gesammelt und aufgezeichnet haben. Dass sein Name untrennbar mit der Geschichte der Fabel verbunden ist, er- klärt sich zum einen aus der großen Zahl und der Qualität seiner Fabeln, zum anderen aus der Tatsache, dass zahlrei- che Fabeldichter späterer Zeiten auf die Fabeln Aesops zurückgreifen und seine Motive, sein Figureninventar, seine Kompositionsprinzipien oft nur variieren. Die Fabel wird in einer konkreten Situation und mit einer bestimmten Absicht erzählt. Am Beispiel des sagenumwo- benen phrygischen Sklaven „Aesop", dessen Fabeln untrennbar mit seinem Lebenslauf verbunden sind, läßt sich anschaulich der Realitätsbezug und die didaktisch - kritische Absicht der Fabel aufzeigen. Dabei ist nicht einmal mit Sicherheit belegt, ob Aesop wirklich gelebt hat, oder ob er nur eine „Verkörperung des fabulierenden griechischen Volksgeistes" ist. In legendenartigen Darstellungen erscheint Aesop als ein körperlich missgestalteter Mensch, der von der Göttin Isis mit Weisheit und Redegewandtheit ausgestattet wurde. Mit diesen Eigenschaften versehen, zog Aesop durch die 19
  • 20. vhs-Kolleg Allgemeinbildung, Semester IV: Meilensteine der klassischen und modernen Literatur Länder Kleinasiens und Griechenlands - und erzählte seine Fabeln, in denen er soziale Ungerechtigkeiten und men- schliches Fehlverhalten anprangerte. Selbst den Mächtigen gegenüber äußerte er Kritik in Form geistreicher Fabeln, und er versuchte, deren Verhalten durch seine Lehren zu beeinflussen. Dabei ergriff Aesop stets die Partei der Schwachen. Seine kritische Haltung brachte Aesop häufig in Konflikt mit der Obrigkeit. Doch selbst in schwierigen Situationen äußerte er im Schutz der Fabeln seine Kritik. In Delphi geriet Aesop so in Streit mit der Priesterschaft, die seinen Ein- fluss auf das Volk fürchtete. Aus Angst vor dem Volk ließen die Priester ihn heimlich verhaften: Sie hatten eine gol- dene Schale aus dem Tempel des Apoll in sein Reisegepäck geschmuggelt und ihn als gemeinen Kirchenräuber ver- leumdet. Aesop wurde in den Kerker geworfen und zum Tode verurteilt. Die Fabel als literarische Gattung Die Fabel bezeichnet eine in Vers, meist jedoch in Prosa verfasste kurze Erzählung mit belehrender Absicht, in der vor allem Tiere, aber auch Pflanzen und andere Dinge oder fabelhafte Mischwesen, menschliche Eigenschaften be- sitzen (Personifikation) und handeln (Bildebene). Die Dramatik der Fabelhandlung zielt auf eine Schlusspointe hin, an die sich meist eine allgemeingültige Moral (Sachebene) anschließt. Im Mittelpunkt der Handlung stehen oft Tiere, Pflanzen oder andere Dinge, denen menschliche Eigenschaften zugeordnet sind. Die Tiere handeln, denken und sprechen wie Menschen. Die Fabel will belehren und unterhalten (fabula docet et delectat). Die Personifikation der Tiere dient dem Autor häufig als Schutz vor Bestrafung o.Ä., denn er übt keine direkte Kritik, etwa an Zeitgenossen Textbeispiel: Der Hund und das Stück Fleisch Ein großer Hund hatte einem kleinen, schwächlichen Hündchen ein dickes Stück Fleisch abgejagt. Er brauste mit sei- ner Beute davon. Als er über eine schmale Brücke lief, fiel zufällig sein Blick ins Wasser. Wie vom Blitz getroffen blieb er stehen, denn er sah unter sich einen Hund, der gierig seine Beute festhielt. "Der kommt mir zur rechten Zeit", sagte der Hund auf der Brücke, "heute habe ich wirklich Glück. Sein Stück Fleisch scheint noch größer zu sein als meins." Gefräßig stürzte sich der Hund kopfüber in den Bach und biss nach dem Hund, den er von der Brücke aus gesehen hatte. Das Wasser spritzte auf. Er ruderte wild im Bach umher und spähte hitzig nach allen Seiten. Aber er konnte den Hund mit dem Stück Fleisch nicht mehr entdecken, er war verschwunden. Da fiel dem Hund sein soeben erbeu- tetes, eigenes Stück ein. Wo war es geblieben? Verwirrt tauchte er unter und suchte danach. Doch vergeblich, in seiner dummen Gier war ihm auch noch das Stück Fleisch verlorengegangen, das er schon sicher zwischen seinen Zähnen gehabt hatte. Textbeispiel: Der Fuchs und der Rabe Ein Rabe hatte einen Käse gestohlen, flog damit auf einen Baum und wollte dort seine Beute in Ruhe verzehren. Da es aber der Raben Art ist, beim Essen nicht schweigen zu können, hörte ein vorbeikommender Fuchs den Raben über dem Käse krächzen. Er lief eilig hinzu und begann den Raben zu loben: »O Rabe, was bist du für ein wunderbarer Vogel! Wenn dein Gesang ebenso schön ist wie dein Gefieder, dann sollte man dich zum König aller Vögel krönen!« Dem Raben taten diese Schmeicheleien so wohl, daß er seinen Schnabel weit aufsperrte, um dem Fuchs etwas vor- zusingen. Dabei entfiel ihm der Käse. Den nahm der Fuchs behänd, fraß ihn und lachte über den törichten Raben. Der Fuchs wird hier für seine Schmeichelei belohnt - der Dumme ist der Rabe, der allzu gern auf die Schmeicheleien des Fuchses hereinfällt. Bestraft wird hier also die Eitelkeit und Selbstgefälligkeit, gegen die sich diese Version der Fabel vom Fuchs und Raben richtet. Textbeispiel: Die Krähe und die Vögel Jupiter wollte den Vögeln einen König geben und setzte einen Tag fest, an welchem sie zusammenkommen sollten. Die Krähe sammelte im Bewußtsein ihrer Hässlichkeit die Federn, welche den andern Vögeln ausgefallen waren, und bekleidete sich mit denselben. Als nun der bestimmte Tag kam, ging sie in ihrem bunten Schmucke in die Versamm- lung. Doch da sie Jupiter wegen ihrer Schönheit zum Könige erwählen wollte, rissen ihr die erzürnten Vögel die Fe- 20
  • 21. vhs-Kolleg Allgemeinbildung, Semester IV: Meilensteine der klassischen und modernen Literatur dern aus, indem ein jeder diejenigen heraus zupfte, welche ihm zugehörten. So war die Krähe bald wieder nichts anderes, als was sie ursprünglich gewesen war, nämlich eine hässliche Krähe. Auch jene Menschen, die sich durch fremde Macht erhoben haben und sich nun ihres Reichtums brüsten, gewähren, wenn jeder zurückfordert, was ihm gebührt, einen kläglichen Anblick und sind dann nichts mehr, als was sie früher waren Literatur: Ausgewählte Fabeln Aesops unter: http://www.udoklinger.de/Deutsch/Fabeln/Aesop.htm Rainer Nickel (Herausgeber): Äsop. Fabeln. Mit zahlreichen Holzschnitten aus dem Ulmer Äsop. Artemis 2007. 11. Rom und die lateinische Literatur Die Griechen verbreiteten ihre Bildung und Kultur in den folgenden Jahrhunderten im gesamten Mittelmeerraum und seit Alexander dem Großen auch im Orient und nach Zentralasien hinein. Als letzter Nachfolgestaat des Alexan- derreichs wurde im Jahre 30 v. Chr. das Ägypten der letzten ptolemäischen Königin Kleopatra VII. ins Römische Reich eingegliedert. Damit war der Hellenismus als politischer Faktor ausgeschaltet. Die griechische Kultur jedoch lebte mit unverminderter Kraft im Römischen Reich fort und prägte es bis zu seinem Untergang im Westen 476 und darüber hinaus. Die Römer brachten die antike Kultur bis nach Mittel- und Nordwesteuropa, wo sie sich seit dem frühen Mit- telalter zur christlich-abendländischen Kultur wandelte. Römisches Reich Nach den Griechen wurden die Römer zu den zweiten Trägern und Vermittlern der antiken Kultur. Je weiter sie als Eroberer in die Länder der Levante vordrangen, desto stärker ließen sie sich von deren Kultur beeinflussen. Literatur, Philosophie, Kunst, Architektur und Alltagskultur der Griechen wurden von den Römern nun auch im westlichen Mit- telmeerraum verbreitet und bis zum Rhein und zu den britischen Inseln. Lateinische Literatur Die Literatur der Römischen Republik und des Römischen Reiches wurde in Latein verfasst. Die Perioden der lateini- schen Literatur werden traditionell aufgeteilt in das Goldenes Zeitalter, das etwa die Periode vom Anfang des 1. Jahrhunderts v. Chr. bis zur Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr., und das Silberne Zeitalter, das die übrige klassische Periode umfasst. Zum Goldenen Zeitalter zählt man die großen Dichtungen Vergils, Ovids und Horaz', sowie die Wer- ke Caesars und Ciceros. Ins Silberne Zeitalter fallen z.B. die Werke Plinius, Senecas, Junenals und Martials. 12. Die Aeneis des Vergil Die letzten elf Jahre seines Lebens verbrachte Vergil mit der Abfassung der Aeneis, eines 29 v. Chr. von ihm begon- nenen mythologischen und zugleich historischen Epos in zwölf Büchern. Er beschreibt darin die sieben Jahre wäh- renden Fahrten und Abenteuer des Helden Aeneas vom Fall Trojas bis zu seinem Sieg über Turnus in Italien. Vergil zufolge stammten die Römer in direkter Linie von Askanios ab, dem Gründer von Alba Longa, dem Ur-Rom. Im Stil und Aufbau lehnt sich die Aeneis an die homerischen Epen Ilias und Odyssee an. In Teilen sind auch die Einflüsse der Argonautiká des griechischen Dichters Apollonios von Rhodos aus dem 3. Jhdt. v. Chr. und der Annales des römi- schen Dichters Quintus Ennius erkennbar. In der Aeneis entwickelte Vergil den Hexameter in sprachlicher und technischer Hinsicht zur Perfektion, so daß sei- nen Versen bis heute Vorbildcharakter zukommt. Als poetische Vorbilder Vergils sind die homerischen Epen zu nen- nen. Ganz bewußt fordert Vergil den Vergleich mit ihnen heraus. Durch die Zahl der Bücher, durch die Übernahme der Hauptthemen Kampf und Irrfahrten und Heimkehr des Helden in umgekehrter Reihenfolge, durch die Übernah- me der zwei Handlungsebenen - göttliche und menschliche Ebene - und der epischen Darstellungsmittel wie Götter- szenen und Proömium mit Musenanruf. Während Ilias und Odyssee je 24 Gesänge haben, umfasst die Aeneis zwölf; das ist als Ausdruck der Bescheidenheit gegenüber Homer zu verstehen, der in der Antike als der größte Dichter galt. Doch Vergil begnügt sich nicht mit bloßer Nachahmung - obwohl dies in der Antike nicht abwertend zu verstehen ist - sondern ändert seinen Bezugstext, indem er den homerischen Themen einen neuen Aussagewert verleiht: Aeneas 21
  • 22. vhs-Kolleg Allgemeinbildung, Semester IV: Meilensteine der klassischen und modernen Literatur handelt nicht wie die homerischen Helden für sich selbst und für sein Heldentum, sondern im Götterauftrag für sein Volk. Auch sind die vergilischen Götter in ihrem Handeln weniger frei als die homerischen: Sie alle, auch Jupiter, un- terstehen dem Fatum, über dessen Durchführung er wacht. Der Gang der Geschichte ist für Vergil ein sinnvoller: Die Mühen und Anstrengungen des Aeneas werden ihren Lohn finden, allerdings nicht mehr zu Lebzeiten des Helden, sondern erst zur Zeit des Augustus, in der sich endlich die Friedensherrschaft erfüllen wird. Inhalt „Singen will ich von Kämpfen und von dem Mann der zuerst von Trojas Gestade vom Schicksal verbannt zu Laviniums Küste nach Italien kam über Wasser und Lande verschlug ihn Göttergewalt aus unversöhnlichem Groll der grimmen Juno der viel auch im Kriege erlitt, bis die Stadt er geründet Götter nach Latium brachte, woher das Latinergeschlecht ward Albas Urväter auch und du, hochragende Roma.“ Vergil: Aeneis 1,1ff. I Nach dem Proömium setzt das Geschehen unmittelbar mit einem von Juno erregten Seesturm ein, der die gerade von Sizilien abfahrende trojanische Flotte zerstreut. Aeneas landet mit sieben Schiffen an der karthagischen Küste. In einem Gespräch mit Venus verheißt Jupiter dem Volk des Aeneas die Weltherrschaft und das Friedensreich des Au- gustus. Dido, die Königin von Karthago, verspricht den im Sturm von Aeneas Getrennten Hilfe und bald darauf wird Aeneas mit seinen Gefährten gastlich aufgenommen. Cupido nimmt auf Venus´ Veranlassung in Gestalt von Ascanius am Festmahl teil und lässt Dido in Liebe zu Aeneas entbrennen, den sie schließlich um die Erzählung seiner Erlebnisse bittet. II Aeneas beginnt seine Erzählung mit der Zerstörung Trojas: Von dem Priester Laokoon vergeblich gewarnt, von dem Griechen Sinon betrogen, ziehen die Trojaner das hölzerne Pferd, in dem bewaffnete Griechen Verborgen sind, in die Stadt; die Feinde verlassen dieses in der Nacht und der Kampf beginnt. Aeneas, im Traum durch den gefallenen Hek- tor gewarnt, kämpft verzweifelt, muss aber schließlich die Ermordung des König Priamos mit ansehen. Aeneas flüch- tet dann mit seinem Vater Anchises, seinem Sohn Ascanius und seiner Gattin Creusa ins Idagebirge, die er jedoch im Verlauf der Reise verliert. III Nach der Abfahrt versuchen die Trojaner zuerst Neuansiedlungen in Thrakien und Kreta, erhalten jedoch in Delos, Kreta und auf den Strophaden Götterhinweise auf das eigentliche Fahrtziel Italien. In Buthrotum gibt ihnen der Seher Helenus Ratschläge und Warnungen für die Weiterfahrt und nennt den Zielort. Die erste Landung in Italien erfolgt beim Castrum Minervae. Während der Weiterfahrt um Sizilien kommen sie bei den am Fluss des Ätna hausenden Kyklopen vorbei. Mit dem Tod des Anchises in Drepanum auf Sizilien endet die Erzählung des Aeneas. IV Dido ist von der neuen Liebe überwältigt und Juno will mit Venus´ Zustimmung Aeneas in Karthago festhalten. Bei einem Gewitter auf einer Jagd kommt es zur Liebesvereinigung. Das Liebesverhältnis währt den ganzen Winter über und dann greift Jupiter ein und sendet durch Merkur Aeneas den Abfahrtsbefehl. Aeneas beschließt die Weiterfahrt und Dido stellt ihn vergeblich zur Rede. Aus Verzweiflung lässt Dido im Palast einen Scheiterhaufen errichten, um dort angeblich alle Erinnerungen an den Treulosen zu verbrennen - tatsächlich steht ihr Entschluss zum Selbstmord bereits fest. Nachts fährt Aeneas ab und Dido flucht auf Aeneas und seine Nachkommen Unheil und Krieg herab, danach stirbt sie in königlicher Würde. V Die Trojaner landen nochmals in Drepanum, am Jahrestag von Anchises´ Tod. Die fahrtmüden Trojanerinnen ste- cken die Schiffe in Brand, doch Jupiter rettet die Flotte durch einen Regenguss. Aeneas aber fasst erst nach einer Erscheinung des Anchises neuen Mut. VI Nach der Landung in Cumae erhält Aeneas von der dort wohnenden Seherin Sibylle den Auftrag, zuerst den Leich- nam des inzwischen verstorbenen Trojaners Misenus zu bestatten und einen geheimnisvollen goldenen Zweig zu pflücken, dann geleitet ihn die Seherin in die Unterwelt. Im Totenreich begegnet Aeneas Dido und heftet den golde- nen Zweig an das Palasttor der Unterweltsgötter. Anchises belehrt ihn über die Wiedergeburt der unvollkommenen 22
  • 23. vhs-Kolleg Allgemeinbildung, Semester IV: Meilensteine der klassischen und modernen Literatur Seelen und zeigt ihm große Gestalten der künftigen römischen Geschichte (Römerschau), dann entlässt er Aeneas und Sibylle an die Oberwelt. VII Nach der Landung an der Tibermündung folgt die Erzählung von der freundlichen Aufnahme der Trojaner durch den Landeskönig Latinus, der aufgrund von Vorzeichen Aeneas die Hand seiner Tochter Lavina verspricht, obwohl seine Gattin Amata den Rutulerfürsten Turnus als Schwiegersohn bevorzugt. Auf Junos Befehl hetzt Amata, Turnus und eine Schar latinischer Hirten gegen die Trojaner auf. Nach der Weigerung des Latinus gibt Juno selbst das Zei- chen zum Kriegsbeginn. VIII Aeneas fährt auf Befehl des Flussgottes Tiberinus stromaufwärts, um von dem aus Arkadien in Griechenland stammenden und jetzt in Italien ansässigen König Euander Hilfe zu erbitten. Er wird von den Arkadern freundlich aufgenommen. Nachts schmiedet Vulcanus auf Bitten der Venus neue Waffen für Aeneas. Am nächsten Morgen erhält Aeneas 400 Reiter unter der Führung von Euanders Sohn Pallas. Venus übergibt ihm die neue Rüstung, wobei der Schild mit Darstellungen der römischen Geschichte genau beschrieben wird. IX Während der Abwesenheit des Aeneas werden die Trojaner, die sich im Lager aufhalten, von den Italikern be- drängt. Turnus eröffnet, von Iris im Auftrag Junos aufgehetzt, den Kampf und steckt die Schiffe in Brand, die jedoch von der Göttermutter Kybele in Nymphen verwandelt werden. Am nächsten Morgen gelingt einigen Feinden unter der Führung des Turnus der Durchbruch ins Lager, jedoch werden sie von den tapfer kämpfenden Trojanern zurück- gedrängt und Turnus kann sich am Ende nur durch einen Sprung in den Tiber retten. X In einer Götterversammlung verbietet Jupiter den Göttern, vor allem Juno, in das Geschehen des folgenden Schlachttages helfend einzugreifen. Aeneas erscheinen auf der Rückfahrt seine in Nymphen verwandelten Schiffe und unterrichten ihn von der Notlage der Trojaner. Nach einer raschen Landung gelingt es Aeneas, das Lager zu be- freien, doch der junge Pallas wird von Turnus im Zweikampf getötet. XI Während eines zwölftägigen Waffenstillstandes werden die Toten bestattet. Aeneas sendet einen Trauerzug mit der Leiche des Pallas zu Euander. In einem Kriegsrat der Latiner, in dem Latinus zum Frieden rät, erklärt sich schließ- lich Turnus zu einem Zweikampf mit Aeneas bereit, als das Heranrücken des trojanischen Heeres die Hoffnung auf Beendigung des Krieges zerstört. XII Mit der Einwilligung des Turnus zu dem Zweikampf beginnen die Friedensvorbereitungen. Der zwischen Aeneas und Latinus geschlossene Vertrag wird jedoch von den Rutulern, die Juturna, die Schwester des Turnus, im Auftrag Junos aufhetzt, sofort wieder gebrochen. Es kommt zum allgemeinen Kampf, in dem Juturna Turnus in Gestalt von dessen Wagenlenker ständig den Blicken des Aeneas entzieht. Dadurch, daß Aeneas die bis jetzt verschonte Stadt des Latinus angreift, zwingt er Turnus sich doch zum Zweikampf zu stellen. Nach einem Versöhnungsgespräch zwi- schen Jupiter und Juno, welches die Voraussetzung für die Beendigung des Krieges bildet, tötet Aeneas Turnus im Zweikampf. Vergleich Aeneis – Ilias – Odyssee Dass Homer und seine beiden berühmten Epen Ilias und Odyssee das große Vorbild Vergils waren, ist unübersehbar. Der erste Teil der Aeneis, die Gesänge 1 bis 6, sind die sogenannte "römische Odyssee", der zweite (6.-12.) die "rö- mische Ilias". Bis ins kleinste Detail hat Vergil homerische Muster übernommen: Aeneas strandet nahe Karthago – Odysseus ist dies öfters passiert (ebenfalls Menelaos; der Flotte der Achäer ist es teilweise gar noch schlimmer ergangen) Aeneas erzählt Dido von seinen vorausgegangenen Irrfahrten als eine Art Rückblick für den Leser/Zuhörer – in der Odyssee hat Odysseus dasselbe getan, für den Phaikaenkönig Alkinoos [ab Hom.Od.9].Ab der Umschiffung des Peloponnes wandelt Aeneas praktisch auf den Spuren Odysseus’: Kyklopen, Sirenen, Skylla & Charybdis, Insel der Kirke. Aeneas und Dido verlieben sich ineinander, erst die Götter beenden die "Festhaltung" des Aeneas durch die Königin. – Dies ist praktisch der Anfang der Odyssee: Odysseus wird lange Jahre von der Nymphe Kalypso auf deren Insel 23